Bildungsreform(en) ... - TheoArt-komparativ

Konrad Paul Liessmann

„Der Reformfanatiker will die permanente Reform. Das hält die Menschen auf Trab und hindert sie daran, das zu tun, was der Reformer angeblich von ihm erwartet. Vor allem ist die Einbindung in den Reformprozess die beste Möglichkeit, um jedes Denken lahmzulegen. Die Universitätsreformen sind dafür ein blendendes Beispiel. […] Eine Reform um der Reform willen braucht jedoch keine Gründe. Also werden Wissenschaftler dafür bezahlt, permanent eine Institution zu reformieren, anstatt ihre Energie in Lehre und Forschung zu investieren, weshalb die Universität dringend reformiert werden muss und so weiter. Die nächsten Schritte sind absehbar. […] Nur ein sehr reiches oder ein sehr dummes Land kann es sich leisten, für jede Studentengeneration eine neue Studienarchitektur zu erfinden. Was soll’s? Das Chaos wird neue Reformen gebären. Und sie sind schon da.  […]

Das Reformtempo muss im Detail zu Skurrilitäten führen, denen ein kafkaesker Charme nicht abgesprochen werden kann. […] Schamlos wird dieser Unsinn unter dem Etikett Change Management noch als Fortschritt verbucht. Was immer misslingt, ist deshalb nur Anlass für eine neue Reform. Man kann behaupten, dass eine gelungene Reform für die Idee der Reform einen Selbstwiderspruch darstellt [!!!]. Denn dann gäbe es nichts mehr zu reformieren – und das kann nicht sein. Nehmen wir die Schulreform. Vor wenigen Jahren noch hieß das Zauberwort auch hier – Autonomie. Jede Schule bildet sich ihr autonomes Profil und stellt sich mit auf einer Leadership Academy zu Managern getrimmten Schulleitern dem Wettbewerb um die Herzen der Schüler, die Spenden der Eltern und die Werbetafeln der Sponsoren. In Wirklichkeit diente die Autonomie dazu, die Auswirkungen und die Administration von verordneten Stundenkürzungen und Einsparungen den Schulen zu überantworten. Wer darauf aufmerksam machte, dass unter solchen Bedingungen verbindliche Unterrichtsziele, auf die etwa Universitäten und Arbeitgeber vertrauen könnten, auf der Strecke bleiben würden, musste sich als Feind des Wettbewerbs und Reformbremser denunzieren lassen. Dann kam PISA und mit PISA der große Schock. Und nun war klar, dass nichts wichtiger war, als den ach so autonomen Schulen jene allgemeinverbindlichen Leistungsstandards mit viel Aufwand wieder zu diktieren, die man vorher mit großem Reformgeschrei demontiert hatte.

Wie immer war dieser Prozess kein Leerlauf.  Denn die Profiteure warten schon: die Akkreditierungsunternehmen, Testagenturen und Beratungsfirmen, die in naher Zukunft europaweit Schulen und Universitäten um gutes Geld testen, evaluieren, beraten und jene Zertifikate vergeben werden, die vor Jahren, als es noch verbindliche Lehr- und Studienpläne gab, mit jedem Zeugnis ohne großen Aufwand gegeben waren. Und natürlich wird angesichts dieser neuen Unübersichtlichkeit der Ruf nach privaten Eliteschulen, die das halten, was man sich von Schule einmal versprochen hat, immer lauter. Auf die Idee, in den Schulreformen der vergangenen Jahre eine Ursache für die Misere der Gegenwart zu sehen, kommt mittlerweile niemand mehr.

Reformen verlaufen deshalb nie im Sand, sondern sind dann am erfolgreichsten, wenn sie das vielbeklagte Chaos erreicht haben. […]

Nicht zuletzt am Bildungsbereich lässt sich ablesen, dass wir uns anstelle einer Wissensgesellschaft rasant auf eine Kontrollgesellschaft zubewegen. Fast alles, was gegenwärtig unter dem Begriff ‚Autonomie‘ verhandelt wird, gehorcht dem Imperativ einer solchen sozialen Formation: Herrschaft durch Selbststeuerung. Niemandem wird etwas befohlen; alles, was geschieht, geschieht freiwillig. Aber die Zeiten, die Vorgaben und der Wettbewerb verlangen eben ein dichtes Netz von Kontrollen, Evaluationen, Überprüfungen, Anpassungen an Zielvorgaben, Leistungsvereinbarungen und Steuerungsmechanismen, was die Freiheit der Wissenschaft nicht einmal mehr als eine Absichtserklärung erscheinen lässt. Es ist einigermaßen absurd, dass zu den gängigsten Redewendungen eines Zeitgeistes, der sich einem liberalen Weltbild verpflichtet fühlt, der Satz gehört: Es gibt keine Wahl. Im Namen der Freiheit wird die Unmöglichkeit der Freiheit verkündet. Die Phrase, dass die Globalisierung, Menschenwerk wie nur irgendeines, einem Naturereignis gleichkomme, das man vielleicht ausnützen, dem man aber nicht entgehen kann, ist ernst gemeint, Ausdruck einer Unbildung, die fast schon wieder die klassische Gestalt der Dummheit annimmt.“

(Aus: Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Wien: Zsolnay, 2006, S. 168-174)

 

 

Joachim Bauer

„Es kann kein Zweifel bestehen: Lehrkräfte haben die Würde des Schülers zu achten, das heißt, sie dürfen das Kind bzw. den Jugendlichen kritisieren, aber nicht herabwürdigen und nicht körperlich strafen. Ein fataler Irrtum ist jedoch die Auffassung, Schüler wollten einen ‚politisch korrekten‘ Lehrer, also einen ‚Menschen ohne Eigenschaften“, der keine Ecken und Kanten hat und keine (negativen wie positiven) Emotionen offenbart. Lehrer dieses Typs bedeuten das Ende der Bildung, denn von solchen ‚Neutralitätsmaschinen‘ geht nichts mehr aus, sie haben keine Ausstrahlung und überzeugen deshalb im Schüler auch keine Motivation. […]

Ich fürchte allerdings, dass Kultusbürokraten und Schulverwaltungen, aber auch manche Eltern mit einem zunehmend verschärften Kontrollsystem das Verhalten der Lehrerschaft letztendlich auf einen Zustand der ‚identitätslosen Unangreifbarkeit‘ einpegeln werden. Wenn Lehrerinnen und Lehrer für jeden echten persönlichen Akzent, den sie in der Klasse setzen, vorgeführt und kritisiert werden, wird die Folge sein, dass sie sich immer mehr innerlich abschotten und ‚Unterricht nach Vorschrift‘ machen. Eine größere Gefahr für die Zukunft der Schule kann ich mir kaum vorstellen. Wie sagte Frank McCourt: ‚Ein Lehrer muss wie ein Künstler sein!‘“

(Aus: Joachim Bauer, Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg: Heyne, 2008, S. 72f)