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Martin Bubers Reden über Erziehung

von Peter Tschuggnall

Zum heutigen Unterricht

„Ich habe keine Lehre; ich führe ein Gespräch“, nennt der 1878 geborene Martin Buber eine Essenz seiner Tätigkeit. Eugen Biser stellt diese Wegbeschreibung an den Beginn seines Buches über den jüdischen Religionsphilosophen und kommentiert:

Selbstverständlich konnte auch er kein Gespräch ohne lehrhaften Hintergrund führen [ ... ]. So blieb in dem, was Buber lehrte, stets der dialogisch-pädagogische Impuls bestimmend. Seine „Lehre“ hatte, wie man auch sagen könnte, einen Überschuss an noch „ungelöschten“ Fragen. Und ebenso war darin der Unterton des Erziehers und Mahners nicht zu überhören.[1]

 

I.

Wird bei einem Symposion, das Musik und Künste im Rahmen pädagogischer Überlegungen in das Blickfeld rückt und das die Sphären „Leben lehren“ und „Kreativität und Qualität des Glaubens wie des Zweifelns“ ausleuchten will, in pädagogischer Absicht über Buber gesprochen, so könnte das auf den ersten Blick und mit Bezug auf religionspädagogische Modellbildungen doch etwas überraschend scheinen, zumal Buber als Pädagoge und Erzieher in entsprechenden Theorien kaum zu Wort kommt.

Neuere pädagogische Theorien weisen darauf hin, dass die Bezeichnungen „Erziehen“ und „Unterrichten“ begrifflich zwar voneinander unterschieden sind, in Hinblick auf die Praxis jedoch untrennbar miteinander verbunden scheinen. In diese Richtung gesehen wurde jedenfalls der Begriff „Erziehen- der Unterricht“ eingeführt.[2]

Unterrichten ist an den Grundkonsens über die dem Bildungs- und Erziehungsauftrag zugrunde liegenden Werte gebunden, wie sie in der Verfassung und den Schulgesetzen enthalten sind. Gelingt es, der eigentlichen Intention des Unterrichtens und Erziehens gerecht zu werden, so erfüllen Lehrer und Erzieher das „Ganze“ ihres Auftrags; das jeweilige Welt- und Menschenverständnis fließt ein in pädagogisches Handeln.

Erziehungsziel ist die ganzheitliche, elementare Persönlichkeitsbildung, in welcher die Erzieher dem Aufbau der anthropologischen Grundhaltungen – wie „Vertrauen“, „Lebensbejahung“ und „Beziehungsfähigkeit“ – Priorität geben. Erziehung geht von Einwirkungen aus, durch die ein Mensch lernen kann, sein Leben zu meistern.

Die Erziehungsbedingungen der Moderne haben das Verhältnis von Pädagogik und Theologie verändert. Erziehung sieht sich kaum mehr mit einem geschlossenen Normenhorizont konfrontiert, auch setzt sie „Glauben“ weder voraus noch garantiert sie ihn. Konfessionelle Bindung der Erziehung scheint unter Umständen nicht mehr an der Zeit (vgl. Schülerheime unter kirchlicher Schirmherrschaft).[3]

Das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) formulierte in dem Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel, die öffentliche Gewalt habe Unternehmen zu unterstützen, die besonders für die Jugend wertvoll sind. Die Erziehungserklärung des Konzils Gravissimum educationis sieht ein gewichtiges Recht für das Kind in einer durch die Personwürde gegebenen und die „Eigengesetzlichkeit“ der Erziehung respektierenden Erziehung. Der Religionspädagoge Karl Ernst Nipkow spricht in diesem Zusammenhang von der „wechselseitigen Freigabe von Pädagogik und Theologie“ – Erziehung als Interaktionsprozess, als generationenübergreifendes Lernen, das stets von neuem definiert und konkretisiert wird.[4]

 

II.

Wie äußert sich im Vergleich zu gegenwärtigen Ansichten jener Denker, der 1952 vor einer „Gottesfinsternis“ warnte, als dem „Charakter der Weltstunde, in der wir leben“, über Erziehung und Unterricht?

Im Folgenden greife ich v. a. drei Vorträge von Martin Buber auf. Er arbeitete sie zwischen 1925 und 1939 aus und gab sie 1953 in dem Band Reden über Erziehung heraus; auch im 1. Teil der Werkausgabe von 1962, den „Schriften zur Philosophie“, sind sie abgedruckt. Die Rede über das Erzieherische, die den frühesten dieser drei pädagogischen „Ausweise“ bildet, basiert auf dem Eröffnungsvortrag der „Dritten Internationalen Pädagogischen Konferenz“, Heidelberg 1925, deren Generalthema „Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde“ lautete. Die Rede Bildung und Weltanschauung hielt Buber im „Freien Jüdischen Lehrhaus“ in Frankfurt a. Main 1935, jene Über Charaktererziehung auf einer Tagung der jüdischen Lehrer Palästinas in Tel-Aviv 1939.[5]

Blenden wir Grundworte auf, denen das Primat des philosophisch wie theologisch orientierten Pädagogen gilt, so ist dies zunächst der Begriff „Wort“, und des Weiteren sind die „Begegnung“ und der „Dialog“ zu nennen, der „Einfluss“ und die „Wirkung“, die „Ganzheit“, die „Verantwortung“ und das „Vertrauen“, das „Schöpferische“.

Eine Mitteilung Bubers, die seinen autobiographischen Fragmenten Begegnung von 1960 entnommen ist, scheint Essenzen seines pädagogischen Weges anzuzeigen. Buber benennt ein Erlebnis, worin er das „Gespräch“ als ein ihn prägendes Merkmal schildert, Der Stab und der Baum:

Nach einem Abstieg, zu dem ich ohne Rast das Spätlicht eines vergehenden Tages hatte nutzen müssen, stand ich am Rande einer Wiese, nun des sicheren Wegs gewiss, und ließ die Dämmerung auf mich niederkommen. Unbedürftig einer Stütze und doch willens, meinem Verweilen eine Bindung zu gewähren, drückte ich meinen Stock gegen einen Eschenstamm. Da fühlte ich zwiefach meine Berührung des Wesens: hier, wo ich den Stock hielt, und dort, wo der Stab die Rinde traf. Scheinbar nur bei mir, fand ich dennoch dort, wo ich den Baum fand, mich selber.

Damals erschien mir das Gespräch. Denn wie jener Stab ist die Rede des Menschen, wo immer sie echte Rede, und das heißt: wahrhaft zugewandte Anrede ist. Hier, wo ich bin, wo Ganglien und Sprachwerkzeuge mir helfen, das Wort zu formen und zu entsenden, hier „meine“ ich ihn, an den ich es entsende, ich intendiere ihn, diesen einen unverwechselbaren Menschen. Aber auch dorthin, wo er ist, ward etwas von mir delegiert, etwas, das gar nicht substanzartig ist wie jenes Beimirsein, sondern reine Vibration und ungreifbar. Das weilt dort, bei ihm, dem von mir gemeinten Menschen, und nimmt teil am Empfangen meines Wortes. Ich umfasse ihn, zu dem ich mich wende.[6]

„Damals erschien mir das Gespräch”: Buber geht es um den eigentlichen, um den echten Dialog. Sein Werk von 1923 Ich und Du zeigt dies schon im Titel an. Sigmund Freud überschrieb im selben Jahr eine Studie mit dem Titel Ich und Es. Die Idee des Dialogs fand Aufnahme, Bestätigung und Ergänzung in philosophischen Werken, z. B. von Ferdinand Ebner und Franz Rosenzweig; Emmanuel Levinas stellt einen ausdrücklichen Bezug zu Buber her:

Bei Buber wird das „du”, das das „ich“ anruft, in diesem Anruf bereits als ein anderes „ich“ verstanden, das zu mir „du“ sagt. Der Anruf des „du“ durch das „ich“ wäre also immer schon für das „ich“ die Errichtung einer Wechselbeziehung, einer Gleichheit oder Gerechtigkeit. [7]

1828 schon schreibt Alexander Puschkin ein Gedicht, dem er den Titel Du und Sie gibt und das er wie folgt beginnt: „Kein leeres Sie – ein innig Du / Hat, sich versprechend, sie gesprochen.“[8] Auch in der Musikgeschichte spielt der Rückgriff auf die unterschiedlichen Formen des Gesprächs wie dessen Negation eine herausragende Rolle, als ein Auf- und Hinweis einer realen Gegenwart. Die Ausdrucksform „Kunst“ scheint insgesamt hervorragend geeignet, Codes für das Lehren und Lernen aufzuzeigen, um so „Mitteilung“ gelingen zu lassen; denn Künste sind mit Gegebenheiten des Lebens undurchdringlich verbunden und in Bezug auf Realitäten nicht auszublenden.

Im Besonderen war es der russische Literaturhistoriker Michail Bachtin, der in seinem Buch Literatur und Karneval (1929) mit einem Bezug auf die Künste, insbesondere auf die Dichtung Dostojewskijs, den Begriff der Dialogizität prägte und in die wissenschaftliche Diskussion einbrachte. Für Bachtin reagiert jedes Wort eines Dialogs voller Spannung auf das andere Wort des Gesprächspartners, es antwortet ihm, nimmt es vorweg. Dabei wird das Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden, dem „Anderen“, in den Mittelpunkt gestellt. Die jeweiligen Text-Kontext-Zusammenhänge sind personal und ein Prozess, sie sind, mit Buber gesprochen, geschichtlich bedingte Erscheinungen, Weltanschauungen, deren Gehalt „nicht in den Wolken erwiesen [wird], sondern im gelebten Leben: wahr ist, was bewährt wird“.[9]

Bildungsarbeit, die sich bewährt, trifft Entscheidungen von einer existentiellen Verantwortung aus und ermöglicht jedem Einzelnen seine eigene Einstellung, sein eigenes und persönliches Gewissen, das ihn immer wieder von neuem auf Bewährung hin prüft. Buber mahnt, wohl mit einem Fingerzeig auf den dänischen religiösen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts Sören Kierkegaard, ein, dass es zwar wichtig ist, was einer bekennt, noch wichtiger aber, „wie er es bekennt [ ... ]; es geht um Realität im genauesten Sinn, um die ganze Realität, im Verhältnis zu der das Ästhetische und das Ethische nur Abstraktionen sind. [ ... ] Es gibt die existentielle Verantwortung der Person.“[10]

Dass Buber sich für ganzheitliche Erziehung einsetzt und mit Blick auf die Praxis stärker als heutige Pädagogik zwischen Erziehen und Unterrichten unterscheidet, wird im Besonderen bei der Lektüre seiner Analyse Über Charaktererziehung von 1939 offenkundig. Schulen und Ausbildungsstätten, die den Schwerpunkt etwa auf Literatur, Bildende Kunst oder Musik, auf naturwissenschaftliche Fächer, auf Mode, Sport oder Tourismus, auf Alten- oder Krankenpflege oder auf die Ausbildung in der Kinder- oder Jugendarbeit legen, werden für diese entsprechenden Bereiche größtenteils wohl ein dankbares, weil in seiner Erwartungshaltung darauf vorbereitetes Publikum finden. Wenn es dagegen um Charaktererziehung geht, wird vieles ziemlich problematisch, denn, wie Buber sagt, „ich versuche es, meinen Schülern zu erklären, dass Neid schändlich ist, und schon spüre ich den heimlichen Widerstand derer, die weniger besitzen als ihre Kameraden; ich versuche zu erklären, dass es unanständig ist, den Schwächeren zu schlagen, und schon sehe ich ein unterdrücktes Lächeln in den Mundwinkeln der Stärkeren; ich versuche zu erklären, dass Lüge das Leben zerstört, und etwas Furchtbares geschieht: der schlimmste Gewohnheitslügner in meiner Klasse schreibt einen glänzenden Aufsatz über die zerstörende Macht der Lüge.“[11] Buber will sagen, dass es nicht möglich ist, Ethos zu „unterrichten“, denn das, was wir im Unterricht „lehrend“ vorsagen, wandelt sich nicht in Substanz, die den Charakter aufbaut.

Wenn sich Charakter nicht unterrichten lässt, was wirkt dann auf die Ganzheit der Schüler? Nach Buber kann dies einzig die Ganzheit der jeweiligen Erzieher sein, ihre unwillkürliche und unmittelbare Existenz. Das setze nicht voraus, dass der Erzieher bzw. die Erzieherin ein unbestreitbares Vorbild an Tugend sein muss; jedenfalls aber ganze, lebendige Menschen, die sich ihren Mitmenschen unmittelbar mitteilen (am stärksten wohl dann, wenn sie nicht daran denken, beeinflussen zu wollen) – mit ihren Stärken und Schwächen, auf keinen Fall aber „steril“ und „gefiltert“.

Eine chassidische Geschichte belegt einen entsprechenden Ausweis sehr lebendig und führt metaphorisch vor Augen, wozu echte Erziehung imstande sein kann:

Man bat einen Rabbi, […] eine Geschichte zu erzählen. „Eine Geschichte“, sagte er, „soll man so erzählen, dass sie selber Hilfe sei.“ Und er erzählte: „Mein Großvater war lahm. Einmal bat man ihn, eine Geschichte von seinem Lehrer zu erzählen. Da erzählte er, wie dieser beim Beten zu hüpfen und zu tanzen pflegte. Mein Großvater stand und erzählte, und das Erzählen riss ihn so hin, dass er hüpfend und tanzend zeigen musste, wie der Meister es gemacht hatte. Von der Stunde an war er geheilt. So soll man Geschichten erzählen.“[12]

Im Dialog mit Erziehenden gibt es einen gewichtigen Zugang, der das anfänglich vielleicht noch etwas schüchterne „Fragen“ – wie in der Geschichte: „Man bat einen Rabbi“ – erst möglich macht, nämlich das Vertrauen, das als Person sich angenommen wissen. Gerade Kinder verlangen ihren eigenen Anteil an dem Werden der Dinge, wollen nicht beliebiges Objekt, sondern Subjekt des Produktionsvorgangs sein. Erziehung kann gelingen, wenn Vertrauen zur Welt, zu den Menschen hergestellt wird. Kinder und Jugendliche, die spüren, dass sie diesem entsprechenden Menschen vertrauen können, wissen, dass dieser Mensch kein Geschäft an ihnen betreibt, nicht sozusagen Dienst nach Vorschrift macht, sondern an ihrem Leben teilnimmt, das Schöpferische in ihnen fördert und so Hilfestellung bietet, das kreative Potential auszuloten.

Buber analysiert in seiner Rede von 1925 die Entfaltung der schöpferischen Kräfte und erläutert, dass das Kind für ihn weit „mehr ist als nur Zeugung und Geburt“ ist, es ist vielmehr „Gnade des Wieder-, des Immer-wieder-, des Noch-immer-anfangen-Dürfens“, und er sagt in diesem Zusammenhang das Folgende:

Schöpfertum bedeutet ursprünglich nur den göttlichen Anruf an das im Nichtsein verborgene Wesen. Als [...] Hamann und seine Zeitgenossen diese Bezeichnung metaphorisch auf die menschliche Fähigkeit der Formgebung übertrugen, belegten sie damit eine höchste Aufgipfelung des Menschentums, das gestalterische Genie, als in dem die Ebenbildlichkeit sich wirkend beurkundete. [...] Mit den Grundkräften der Künste, dem Zeichnerischen etwa, dem Musikalischen, sind alle elementar begabt; diese Kräfte sind zu entwickeln und auf ihnen, somit auf der natürlichen Selbsttätigkeit, die Erziehung der ganzen Person aufzubauen.[13]

Lehrern und Erziehern, die zu Eigenständigkeit, zum Schöpferischen anregen wollen, ist bewusst, dass sie nicht zuletzt unter dieser Rücksicht eine Antwort zu geben haben, dass sie unter Ver-antwortung ant-worten und erkennen, dass auch Konflikte und das gegenseitige Eingeständnis von Unzulänglichkeiten zu gelingender Erziehung beitragen.

In seinen autobiographischen Aufzeichnungen schildert Buber unter dem Titel Eine Bekehrung ein Beispiel eines Rückzugs aus der Verantwortung: Er bekommt an einem Vormittag – „nach einem Morgen religiöser Begeisterung“ – den Besuch eines ihm Unbekannten, ist jedoch nicht mit seiner ganzen Person bei den Anliegen dieses Menschen. Er unterlässt, die Fragen zu erraten, die jener nicht stellte. Erst später – zu spät – hat er diese Fragen von einem seiner Freunde erfahren, musste er erfahren, dass jener nicht beiläufig, sondern schicksalhaft gerade zu ihm gekommen war, nicht um einer Plauderei, sondern um einer Entscheidung wegen. Aus seinem eigenen persönlichen Verhalten folgert Buber:

Was erwarten wir, wenn wir verzweifeln und doch noch zu einem Menschen gehen? Wohl eine Gegenwärtigkeit, durch die uns gesagt wird, dass es ihn dennoch gibt, den Sinn. – Seither habe ich jenes „Religiöse“, das nichts als Ausnahme ist, Herausnahme, Heraustritt, Ekstasis, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag, aus dem ich nie genommen werde. Das Geheimnis tut sich nicht mehr auf, es hat sich entzogen oder es hat hier Wohnung genommen, wo sich alles begibt, wie es sich begibt. Ich kenne keine Fülle mehr als die jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung.[14]

 

III.

Nicht also die bloße Theorie, auch nicht die pädagogische Absicht allein ist von erster Bedeutung, sondern die „pädagogische Begegnung“.

Begegnung - von Buber auch verstanden als Hinwendung zum Absoluten, zu den „ewigen Werten“, zu der „Sprache der ewigen Norm“. Licht und Dunkel scheiden sich für ihn – aus politischen und religiösen Vorzeichen heraus – in einer „Stunde des Aufruhrs, zwischen dem Ewigen und dem, das das Ewige äffte“, dem „Affen des Absoluten“; diese düstere Prognose stellte Buber zu Beginn der 50er Jahre in seiner Schrift Gottesfinsternis.

Von der Bedeutung einer Begegnung und des Dialogs sind auch neuere Ansichten der Pädagogik gekennzeichnet. Entsprechende Bilanzen machen bezüglich der Religionspädagogik den großen Abstand zwischen Theoriebildung und gesellschaftlicher Wirklichkeit kritisch geltend; nirgends werde das, so Gert Otto in einer Rezension katholischer und evangelischer religionspädagogischer Perspektiven, „so deutlich wie in jenem Teilbereich der Religionspädagogik, der dem schulischen Religionsunterricht gewidmet ist. Schärfer als in anderen Bereichen wird hier auch erkennbar, welche Rolle kirchliche Vorgaben bei der Übersteigbarkeit konfessioneller Zäune spielen.“[15]

Gleich Rainer Maria Rilke, der in einem seiner frühen Gedichte anmerkte: „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort, / Sie sprechen alles so deutlich aus”, gibt es für Buber eine Norm und feste Maxime der Erziehung nicht. Was man so nenne, sei stets nur die Norm einer Kultur, einer Gesellschaft, einer Kirche, eines Zeitalters, eine Norm, der, wie alle gebundene Handlung des Geistes, in winterlichen Zeiten auch die Erziehung hörig war und sie in ihre Sprache übertrug. Nach Buber ersteht erst im Zerfall der überlieferten Bindungen, im kreisenden Wirbel der Freiheit die personhafte Verantwortung. (Joseph Roth übrigens beschreibt ein Scheitern an solcher (Eigen-) Verantwortung in seinem Roman Die Rebellion.) Verantwortung kann sich mit ihrer Entscheidungslast an keiner Kirche, keiner Gesellschaft, keiner Kultur anlehnen. Sie ist einsam – wie Buber sagt: „im Angesicht des Seienden“.



[1] E. Biser, Buber für Christen. Eine Herausforderung. Freiburg i. B. 1988, 9.

[2] Vgl. die entsprechenden Beiträge im „Lexikon für Theologie und Kirche“ (Neuausgabe) von K. Aurin, J. Hofmeier, A. Gleisner und D. Knab.

[3] Vgl. zu dieser Problematik: J. Janda, Katholische Schulen auf dem Weg ins dritte Jahrtausend. In: Theologisch-Praktische Quartalschrift 147 (1999) 261-271.

[4] K. E. Nipkow, Gott – bildungstheoretische Herausforderungen. In: Theologische Quartalschrift 179 (1999) 83-89.

[5] M. Buber, Reden über Erziehung. Heidelberg 1986 („Rede über das Erzieherische”: 11-49; „Bildung und Weltanschauung“: 51-63; „Über Charaktererziehung“: 65-90).

[6] M. Buber, Begegnung. Autobiographische Fragmente. Mit einem Nachwort von A. Goes. Heidelberg 1986, 51f.

[7] E. Levinas, Außer sich. Meditationen über Religion und Philosophie. München 1991, 42.

[8] A. Puschkin. Gedichte. Nachgedichtet von M. Reman6 [u. a] Berlin 1985 (die entsprechende Puschkin-Nachdichtung stammt von F. Leschnitzer). Vgl. die Übertragung von R. Fortarel (bisher unveröffentlicht): Das leere „Sie“ ersetzte sie, / sich versprechend, mit dem herzlichen „Du“.

[9] Buber, Reden über Erziehung, 60.

[10] ebenda 61.

[11] ebenda 67.

[12] M. Buber, Die Erzählungen der Chassidim. Zürich 1987, 6.

[13] Buber, Reden über Erziehung, 15.

[14] Buber, Begegnung, 60.

[15] G. Otto, Bilanz der Religionspädagogik. In: Praktische Theologie 34 (1999) 140142. Vgl. G. R. Schmidt, Religionspädagogik in den 90er Jahren. In: Theologische Rundschau 64 (1999) 277-323.