Kröll Klaudia, Rolli-Rohrer Bettina, Zass Vera - Gelingensfaktoren inklusiven Bewegungs- und Sportunterrichts - TheoArt-komparativ

Gelingensfaktoren inklusiven Bewegungs- und Sportunterrichts

Eine partizipative Studie

 

von Klaudia Kröll, Bettina Rolli-Rohrer und Vera Zass

 

Abstract

In diesem Artikel werden Faktoren und Perspektiven aufgezeigt, die einen bestmöglichen inklusiven Bewegungs- und Sportunterricht für Schüler_innen mit einer körperlichen oder mehrfachen Beeinträchtigung gewährleisten können. Die vorliegende partizipative Pilotstudie orientiert sich an den Ergebnissen von Lelgemann, Singer, Lübbeke und Walter-Klose (2012) zu den Gelingensbedingungen inklusiver schulischer Settings. Mit diesem Forschungsprojekt wird beabsichtigt, die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich relevanter Gelingensfaktoren einer „Traumsportstunde“ aus der subjektiven Wahrnehmung von Schüler_inne_n einer Inklusionsklasse in weitere Sportstunden einfließen zu lassen. Als zentrale Aspekte kristallisieren sich die Auswahl der Lieblingsinhalte, die differenzsensible Organisation der Sozialformen, die Berücksichtigung der Selbsteinschätzung der Schüler_innen bezüglich ihres Eigenkönnens und das Eingehen der Lehrpersonen auf die Bedürfnisse und Wunschvorstellungen der Lernenden heraus.

Da im Rahmen partizipativer Forschungsansätze alle beteiligten Forscher_innen gleichberechtigt agieren, wird das Erhebungsinstrument des Peer-Interviews als viable Methode für dieses partizipative Aktionsforschungsprojekt betrachtet. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass die Großen Ballspiele von den befragten Schüler_inne_n, ungeachtet ihres Geschlechts und ihrer (Nicht-)Beeinträchtigung als Lieblingsinhalte favorisiert werden. Ebenso wird dem Boden- und Gerätturnen sowie den Einfachen Spielformen mit dem Ball und den Wintersportarten große Bedeutung beigemessen. Die Schüler_innen mit Beeinträchtigung präferieren den geschlechtshomogenen Bewegungs- und Sportunterricht und verfügen über eine positive Selbsteinschätzung ihres Eigenkönnens.

Für gelingenden, differenzsensiblen Unterricht ist eine inklusive, wertschätzende und offene Haltung der essentielle Baustein und die partizipative Aufgabe aller Schulbeteiligten. (Reich, 2012, S. 11)

1. Ausgangslage und Forschungsinteresse

Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, die am 13.12.2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterschrieben wurde und am 03.05.2008 in Kraft trat, besagt: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives [inklusives] Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen […] 2 e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration [Inklusion] wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden“ (SoVD, o.J., „Artikel 24 – Bildung…“, o. S.).

Im Kontext der 2008 unterschriebenen Ratifizierung des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet sich Österreich dazu, das integrative durch ein inklusives Schulsystem zu ersetzen. Damit soll der Prozess der Antidiskriminierung auf allen Ebenen weitergeführt werden. Diese Entwicklung gründet in der Ende der 1970-er Jahre im deutschsprachigen Raum aufgekommenen Bewegung der Integrationspädagogik, deren Ziel die schulische und gesellschaftliche Nichtaussonderung von Menschen mit Behinderung ist. Konkret wird das gemeinsame Lernen aller Schüler_innen, beeinträchtigter und nichtbeeinträchtigter, in den Fokus gestellt. (Prengel, 2006, S. 139)

Diese Forderung nach Integration aller Kinder in den Regelunterricht hat weitreichende Konsequenzen für das Bildungswesen, sowohl für die sonderpädagogischen Einrichtungen als auch für die Regelschulen, wobei die Anpassung an das System Schule immer noch von den von Ausgrenzung bedrohten Menschen gefordert wird. (Heidegger, 2015, S. 5)

Der Prozess der Realisierung des Integrationsgedankens an Schulen ist von Schwierigkeiten gekennzeichnet und konnte noch nicht nachhaltig umgesetzt werden. Den Vordenker_inne_n ist der Begriff Integration nicht weitreichend genug beschrieben. Zur Schärfung des Begriffs Integration wurde ein neuer Terminus entwickelt – der der Inklusion. Dieser leitet sich aus dem Lateinischen „includere“ („einschließen“, „einbeziehen“) ab und wird im pädagogischen Kontext im Sinne eines „Nicht Ausschließens“ von Personengruppen und der Anerkennung menschlicher Vielfalt verwendet. (Köpfer, 2012, S. 1) In Österreich werden die Begriffe Inklusion und Integration nach wie vor in vielen Bereichen austauschbar und ohne klare inhaltliche Abgrenzung verwendet. (Heidegger, 2015, S. 5)

In Anlehnung an Frühauf (2012, S. 12) bezieht sich der Begriff Inklusion „immer auf alle Aspekte von Verschiedenheit; Behinderung ist also immer nur ein Subaspekt. Geht es ausschließlich um Behinderung, bleibt der Integrationsbegriff angemessener, denn andernfalls droht die Inflationierung des Inklusionsbegriffs. Geht es um Behinderung im Zusammenhang gesellschaftlicher Marginalisierung insgesamt, ist allerdings der Inklusionsbegriff sinnvoller und angemessener.“

Schulen stehen aktuell vor der Herausforderung, mit der wachsenden Vielfalt bzw. Heterogenität der Schüler/innen konstruktiv umzugehen, sodass ihre individuellen Begabungen und Potentiale bestmöglich gefördert und aktiviert werden. Dabei stehen „individuelle und diskriminierungsfreie Lern-, Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten von Mädchen und Buben unterschiedlicher familiärer und kultureller Herkunft mit unterschiedlichen Leistungsspektren“ (bmukk, 2012, S. 7) im Fokus.

Als Vorbild für inklusive Forschungsvorhaben können die Ergebnisse der Evaluierung der schulischen Integration, laut Feyerer und Specht eines der am „konsequentesten und intensivst evaluierten Schulreformprojekte der letzten Jahre“ (Feyerer & Specht, 2009; zitiert nach Heidegger 2015, S. 7), herangezogen werden.

In Österreich setzte sich die Forschung lange Zeit mit hemmenden und förderlichen Faktoren in der Unterrichtsarbeit sowie dem Vergleich separativer und inklusiver Beschulung auseinander. Grundlagenforschung und bildungspolitische Maßnahmen für inklusive Schulen jedoch standen bislang kaum im Fokus des Forschungsinteresses. (Heidegger, 2015, S. 7)

In Studien anderer Länder (z.B. Großbritannien, Kanada), die sich mit der Beforschung des gemeinsamen Bewegungs- und Sportunterrichts befassen, wurde festgestellt, dass dieser für Schüler_innen mit Beeinträchtigung sehr erfolgreich sein kann. (Vogler, Koranda & Zenman, 1996; zitiert nach Lienert, 2008, S. 216) Die positive Wahrnehmung des Bewegungs- und Sportunterrichts ist laut Goodwin und Watkinson (2000; zitiert nach Lienert, 2008, S. 216) an die individuelle Befindlichkeit beeinträchtigter Schüler_innen gekoppelt. Ihr Wohlbefinden geht mit dem Gefühl des Dazugehörens und der Möglichkeit, an „guten“ Tagen ihre Fertigkeiten erfolgreich zeigen zu können, einher. Schüler_innen mit Beeinträchtigungen erleben und bewerten den Sportunterricht als negative Erfahrung bzw. „schlechten“ Tag, wenn ihre Fertigkeiten von Mitschüler_inne_n in Frage gestellt werden. Auf diese Weise fühlen sie sich sozial ausgegrenzt.

Places und Hodges (2001; zitiert nach Lienert, 2008, S. 216) thematisieren in ihrer Untersuchung zum Sportunterricht einer Inklusionsklasse mit drei Rollstuhlfahrerinnen die Bereiche Segregation und soziale Isolierung im Kontext von inklusivem Unterricht. Hier hatten Schüler_innen mit und ohne Beeinträchtigungen nur selten miteinander Kontakt und verbrachten nicht dieselbe Zeit mit Lernaktivitäten im Sportunterricht.

Auch eine Literaturanalyse zum gemeinsamen Bewegungs- und Sportunterricht beeinträchtigter und nicht-beeinträchtigter Schüler_innen bestätigt, dass Inklusion nicht immer erfolgreich verläuft. Gerade die soziale Dimension der Ausgrenzung wird von den Betroffenen schmerzhafter als das Bewusstsein eigener Leistungsdefizite erlebt, wie folgendes Zitat untermauert: „Nur die soziale Ausgrenzung macht eine Person mit einer Einschränkung zu einer behinderten Person“ (Schmidt, 2004; zitiert nach Lienert, 2008, S. 216).

Die bis dato aus Deutschland vorhandenen wissenschaftlichen Ergebnisse zu inklusivem Unterricht verweisen auf die zentrale Bedeutung der Wahrnehmung der individuellen Bedürfnisse der Schüler_innen mit körperlichen und komplexen Beeinträchtigungen. Es wird betont, dass inklusive Beschulung nur dann gelingen kann, wenn schulisches Lernen und die dazu gehörenden Organisationen sich an alle Schüler_innen anpassen. (Lelgemann, Singer, Lübbeke & Walter-Klose, 2012, S. 1)

2012 konnten neue Forschungserkenntnisse aus dem Forschungsprojekt „Gelingensbedingungen für den Ausbau gemeinsamer Beschulung (schulische Inklusion) und Sicherung des bestmöglichen Bildungsangebots (Art. 24, 2e der UN-Konvention) von Schülern mit dem Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung“, durchgeführt an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, generiert werden. Diese mehrdimensional angelegte Studie, einem triangulativen Ansatz folgend, setzt sich aus einer Literaturanalyse nationaler und internationaler wissenschaftlicher Untersuchungen, einer qualitativen Interviewstudie mit 84 Befragten und einer quantitativen Befragung mit 4011 Proband_inn_en zusammen. Im Kontext der mündlichen Befragungen wurden sowohl erfolgreich inkludierte Schüler_innen und deren Eltern als auch gescheiterte, die auf eine ihrer Behinderung entsprechende Förderschule wechselten, zu ihren Erfahrungen interviewt. Die Ergebnisse dieser Studie belegen, dass die didaktischen Angebote und die lernzielgleiche bzw. lernzieldifferenzierte Förderung für gelingende Inklusion von zentraler Bedeutung ist, um alle Schüler_innen bestmöglich in ihrem Bildungsprozess zu unterstützen. Die Bewältigung dieser herausfordernden Aufgabe beruht auf der Basis einer wertschätzenden und offenen Grundhaltung von Lehrpersonen hinsichtlich Inklusion und Heterogenität der Schüler_innen. Zusätzlich bedarf es des Einsatzes multiprofessionell ausgebildeter Teams, kleiner Klassengrößen und eines positiven sozialen Klimas. (ebd.)

Sowohl die qualitativen als auch quantitativen Erhebungen dieser Studie bringen zum Vorschein, dass sich folgende personale und strukturelle Faktoren als hemmend für das Gelingen schulischer Inklusion erweisen:
• Behinderungsformen der Schüler_innen, die mit einem erhöhten Therapie- bzw. Pflegebedarf gekoppelt sind und/oder Beeinträchtigungen im sprachlichen Bereich,
• kognitive Beeinträchtigungen und/oder Defizite im Sozialverhalten,
• Defizite im Selbstkonzept, wie geringes Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen,
• geringes Engagement der Eltern für ihre beeinträchtigten Kinder und ihre weitere schulische sowie berufliche Sozialisierung.

Die angeführten Faktoren sollten jedoch keine Stolpersteine für gelingende schulische Inklusion darstellen. (Lelgemann, Singer, Walter-Klose & Lübbeke, 2012, S. 7 f.)

Die Professionalisierung der zukünftigen Lehrkräfte bezüglich Inklusion hat in Österreich in der Primarstufe mit der Lehrer_innenbildung NEU im Studienjahr 2015/16 bereits begonnen. Die Universität Innsbruck startete die Lehrer_innenbildung NEU der Sekundarstufe 2015/16 im Alleingang und führt das Lehramtsstudium mit dem Studienjahr 2016/17 in Kooperation mit den Institutionen des Entwicklungsverbundes West fort. Inklusion gilt in beiden Curricula als Querschnittsmaterie, die in der Grundausbildung mit dem fächerübergreifenden Erwerb von sogenannten Querschnittskompetenzen wie folgt beschrieben wird: „Die Absolventinnen und Absolventen haben eine inklusive Grundhaltung erworben: Das Ziel unterrichtlichen Handelns ist die Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers gemäß ihrer und seiner personalen Fähigkeiten und Möglichkeiten“ (Curriculum der Universität Innsbruck, 2015, S. 7).

Sowohl in der Primar- als auch Sekundarstufe kann Inklusion als Schwerpunkt bzw. Wahlpflichtbereich gewählt werden. Die ersten ausgebildeten Lehrer_innen, nach den neuen Richtlinien der vom Entwicklungsverbund West entwickelten, aktuellen Curricula, werden das Bachelorstudium sowohl in der Primarstufe als auch Sekundarstufe 2018/19 absolviert haben.

Der Prozess der gesetzlichen Umsetzung der schulischen Inklusion soll in Österreich mit allen Konsequenzen (z.B. Auflösung der Sonderpädagogischen Zentren) bis September 2017 abgeschlossen und forschend unterstützt werden, um schulische Inklusion bestmöglich zu realisieren.

Das hier vorliegende Forschungsvorhaben entstand im Rahmen eines Workshops der jährlich stattfindenden Late Summer School der Pädagogischen Hochschule Steiermark in Zusammenarbeit mit dem BZBF (Bundeszentrum für Professionalisierung in der Bildungsforschung) im September 2015 und fokussiert die Umsetzung eines partizipativen Pilotprojekts im schulischen Kontext. Darauf aufbauend sind weiterführende Studien mit höherer Proband_inn_enzahl angedacht.

2. Forschungsmethodisches Vorgehen

Ziel und Fragestellung dieses Forschungsvorhabens ist es, Faktoren ausfindig zu machen, die einen bestmöglichen inklusiven Bewegungs- und Sportunterricht für Schüler_innen mit einer körperlichen oder mehrfachen Beeinträchtigung gewährleisten und Perspektiven aufzuzeigen, die für einen inklusiven Sportunterricht förderlich sind.

Um die Forschungsfrage, welche Faktoren eine Traumsportstunde aus der subjektiven Wahrnehmung von Schüler_inne_n einer zweiten, inklusiv geführten Mitteschulklasse kennzeichnen, beantworten zu können, wird dieser Untersuchung der Forschungsansatz der partizipativen Aktionsforschung (PAR) zugrunde gelegt. Partizipative Forschungsansätze beinhalten konkrete Fragen der Lebensbewältigung mit einer Beeinträchtigung und geben den Betroffenen bei der Gestaltung der Vorgehensweisen im Forschungsprozess Raum. (Seyden & Abresch, 1995; zitiert nach Flieger, 2003, S. 3) Somit wird gewährleistet, dass an diesem Forschungsprozess Partizipierende verschiedene Perspektiven repräsentieren. (Turnbull & Friesen, 1995; zitiert nach Flieger, 2003, S. 4)

Als viable Methoden, Faktoren für einen gelingenden, inklusiven Sportunterricht aus Sicht beeinträchtigter und nicht-beeinträchtigter Schüler_innen einer zweiten Mittelschulklasse auszumachen, betrachten die Verfasserinnen dieses Beitrags die Erhebungsmethode des Peer-Interviews, das Aufbereitungsverfahren der wörtlichen Transkription und die Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse in Form der inhaltlichen Strukturierung.

Die Variante des Peer-Interviews ist für die vorliegende Studie von besonderer Relevanz, weil diese Interviewform unter anderem den Schüler_inne_n mit und ohne Beeinträchtigung Raum bietet, sich aktiv am Forschungsprozess zu beteiligen. Partizipative Aspekte dieses Forschungsprojekts zeigen sich darin, dass die Jugendlichen die inhaltliche Gestaltung der Peer-Interviews weitgehend eigenständig übernehmen und selbst Informationen über ihre Mitschüler_innen zum selben schulischen Kontext des Sportunterrichts sowohl erheben als auch mitteilen. (Vergleiche dazu die Dimensionen der Partizipation an Forschungsprozessen nach Dick, 1997; zitiert nach Flieger, 2003, S. 4)

2.1 Vorbereitung und Durchführung der Peer-Interviews

In der Phase der Interviewvorbereitung wurden alle 19 Schüler_innen der Inklusionsklasse 2a einer Praxis Mittelschule im Osten Österreichs Ende November 2015 im Fach Deutsch mit dem Bereich Fragen und Fragetechniken zum Thema „Mein Traumtag“ konfrontiert. Mit Hilfe eines zuvor von den Schüler_inne_n dazu verfassten Impulstextes erprobten sie in geschlechtsheterogen zusammengestellten Paaren Peer-Interviews. Diese wurden mit Smartphones aufgezeichnet, mit dem Ziel, die Jugendlichen auf das Anfang Jänner 2016 anberaumte partizipative Aktionsforschungsprojekt vorzubereiten. Die ungerade Schüler_innenzahl wurde während der Interviews durch die Beteiligung einer Lehrperson ausgeglichen.

Im Kontext der Untersuchungsdurchführung am 08.01.2016 erhielten alle 17 an diesem Tag anwesenden Jugendlichen der 2a-Klasse – neun weibliche, davon drei beeinträchtigte und sechs nichtbeeinträchtigte Schülerinnen, und acht männliche, ein beeinträchtigter und sieben nicht-beeinträchtigte Schüler – die Aufgabe, sich in assoziativer Weise mit dem Thema „Meine Traumsportstunde“ auseinanderzusetzen. Die Jugendlichen verfassten so eigenständig wie möglich einen Impulstext zu ihrer Traumsportstunde. Im Vorfeld wurden von den forschenden Schüler_inne_n und Lehrpersonen Beispiele bzw. Faktoren für eine Traumsportstunde, wie etwa bevorzugte Inhalte, Sozialformen und Wunschziele, thematisiert, welche unter anderem beim anschließenden Schreiben des Textes berücksichtigt werden sollten. Dieser Text zur Traumsportstunde diente im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses allen Schüler_inne_n als eine Art Leitfaden für die Generierung von Fragen für das Peer-Interview.

Die von den Lehrpersonen bestimmten Tandems wurden sowohl während der Vorbereitungs- als auch Durchführungsphase der Peer-Interviews weitgehend beibehalten. Allerdings setzte sich aufgrund der Absenz zweier Kinder zum Zeitpunkt der Untersuchungsdurchführung ein Interviewtandem aus einer Lehrperson und einem Schüler, ein weiteres aus zwei Mädchen, einem beeinträchtigten und einem nicht beeinträchtigten, zusammen. Die neun Interviewtandems bestanden somit aus sieben geschlechtsheterogenen und zwei gleichgeschlechtlichen Paaren, inklusive Lehrperson. Die vier beeinträchtigten Schüler_innen, drei Mädchen und ein Junge, bildeten mit nicht-beeinträchtigten Schüler_inne_n drei geschlechtsheterogene Tandems und ein gleichgeschlechtliches Paar, bestehend aus zwei Mädchen.

Stichprobe Anzahl Inklusionskind Regelschulkind Männlich Weiblich
Grundgesamtheit 8 4 4 3 5
Tandem 1 2 1 1 1 1
Tandem 2 2 1 1 1 1
Tandem 3 2 1 1 1 1
Tandem 4 2 1 1 0 2

Tabelle 1: Zusammensetzung der Stichprobe

 

2.2 Auswertung der Peer-Interviews

Mit Hilfe der Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse soll es gelingen, ein möglichst vielfältiges und differenziertes Bild von den  Vorstellungen der Schüler_innen einer zweiten NMSKlasse über ihre Traumsportstunde im inklusiven Setting zu erhalten. Das von Mayring (2015, S. 54 ff.) entwickelte Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse umfasst folgende Bereiche: die Bestimmung des Ausgangsmaterials, die Richtung der Fragestellungen, das Ablaufmodell der Analyse zur Generierung des Kategoriensystems und spezielle Techniken qualitativer Inhaltsanalyse.

Aus dem Datenmaterial aller 18 Peer-Interviews wird die Grundgesamtheit mit acht Interviews festgelegt. Die Untersuchungsdurchführung wurde vom Mathematik- und Sportlehrer, Kooperationspartner dieses Forschungsprojekts, von der Deutschlehrerin, der Sonderpädagogin der 2a-Klasse und von der Kooperationspartnerin der PH Tirol begleitet. Die Aufzeichnungen der mündlichen Befragungen wurden im Anschluss für die weitere Datenauswertung wörtlich transkribiert.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestand diese Klasse aus 17 Jugendlichen, neun Mädchen und acht Jungen. Bei drei Mädchen und einem Jungen dieser 17 Schüler_innen wurde bereits in der Volksschule ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert, der beim Übertritt in die Sekundarstufe beibehalten wurde. Diese Schüler_innen werden in allen Hauptfächern nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterrichtet. Alle 17 Jugendlichen dieser Klasse gehören zum Schulsprengel und waren zum Zeitpunkt der Untersuchungsdurchführung zwischen elf und 13 Jahre alt. Das Kernteam der Lehrer_innen der 2a-Klasse setzt sich aus einer Sonderpädagogin, die 23 Stunden in der Klasse tätig ist, einer Deutschlehrerin, einer Englisch- und Sportlehrerin sowie einem Mathematik- und Sportlehrer zusammen. Die Stundentafel der 2a-Klasse beinhaltet drei Unterrichtsstunden Bewegung und Sport pro Woche, wobei jeweils eine Einzelstunde geschlechtergetrennt und eine Doppelstunde am Nachmittag koedukativ im Klassenverband unterrichtet werden. Diese Doppelstunde wird, zusätzlich zu den beiden Sportlehrpersonen, von der Sonderpädagogin dieser Schule begleitet. Ein besonderer inhaltlicher Fokus wird auf das Boden- und Gerätturnen sowie auf Volleyball und Fußball als unverbindliche Übungen gelegt.

Die spezifische Fragestellung, um der Analyse eine bestimmte Richtung zu geben (Mayring, 2015, S. 58), lautet, welche Faktoren eine Traumsportstunde aus der subjektiven Wahrnehmung von Schüler_inne_n einer zweiten inklusiv geführten Mitteschulklasse kennzeichnen.

Im Rahmen der qualitativen Auswertungstechnik der inhaltlichen Strukturierung wird ein Kategoriensystem gebildet. Den definierten Kategorien werden entsprechende Textstellen zugeordnet und Ankerbeispiele angeführt. (Mayring, 2015, S. 97). Zudem werden diese Textstellen bezüglich Gemeinsamkeiten und Differenzen verglichen und interpretiert. (Felder, 1999, S. 102)

Das auf diese Weise gewonnene Kategoriensystem beinhaltet nun folgende Kategorien:
K1: Lieblingsinhalte
K2: Lernorte
K3: Sozialformen/Geschlechterverhältnis
K4: Motive und Begründungen/Geschlechterverhältnis
K5: Selbsteinschätzung des Eigenkönnens
K6: Fremdeinschätzung des Könnens
K7: Zeitdauer
K8: Wunschziele

In der anschließenden Ergebnispräsentation haben nachstehende Abkürzungen folgende Bedeutungen: I. = Interview; m. = männlich; w. = weiblich; k. In. = kein Inklusionskind, In. = Inklusionskind, Z. = Zeile.

Die Auswertung der Interviews diente sowohl zur Erreichung eines Gesamtergebnisses als auch zum Vergleich zwischen den Geschlechtern und beeinträchtigten sowie nicht beeinträchtigten Schüler_inne_n. Sie enthält ebenso qualitative, z.B.: Kategorienbildung, wie quantitative Schritte, z.B.: die Auszählung der Häufigkeiten einer Kategorie, um möglicherweise mit der Häufigkeit des Vorkommens einer Kategorie ihre Bedeutung zu untermauern. (Mayring, 2007, S. 45)

3. Ergebnisse und Interpretation

In diesem Kapitel werden auszugsweise einzelne Kategorien aufgezeigt und deren Fundstellen numerisch belegt. Im Anschluss werden die aussagekräftigsten Ergebnisse dieser Kategorien dargestellt, interpretiert und mit Ankerbeispielen verdeutlicht. Folgende Kategorien werden näher betrachtet: K1: Lieblingsinhalte, K3: Sozialformen/Geschlechterverhältnis, K5: Selbsteinschätzung des Eigenkönnens, K8: Wunschziele.

K1: Lieblingsinhalte

Die acht befragten Schüler_innen der untersuchten Klasse wählten, in hierarchischer Reihenfolge aufgelistet, die Großen Ballspiele (13 Nennungen im Laufe der Interviews), Einfache Spielformen mit dem Ball (acht Nennungen), Boden-, Gerätturnen und weitere koordinative Inhalte ebenso wie die Wintersportarten (je sieben Nennungen) als ihre Favoriten. Jeweils drei Aussagen bezogen sich auf die Sportarten Schwimmen und Leichtathletik. Der Bereich Fangspiele wurde zweimal und Wandern schließlich einmal erwähnt. Innerhalb der Großen Ballspiele wurden Volleyball, Basketball und Fußball je viermal als Lieblingsinhalte bezeichnet, einmal wurde Handball favorisiert.

Im Kontext der Auswertung dieser Kategorie fällt auf, dass beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte sowie männliche und weibliche Schüler_innen gleichermaßen die Großen Ballspiele am häufigsten als ihre Lieblingsinhalte nannten. Die besondere Affinität der Kinder und Jugendlichen zu den Großen Ballspielen könnte auch auf das Angebot der unverbindlichen Übungen Volleyball und Fußball an dieser Schule zurückzuführen sein.

„Meine Lieblingsstunde ist Basketball […]. Ja zum Beispiel Völkerball oder Fußball […]. Ja zum Beispiel Eislaufen […]“ (I. 5, m., In., Z. 4-33).

Ebenso erfreuten sich Einfache Ballspiele bei den Jugendlichen, ohne besondere Unterschiede zwischen den Geschlechtern, großer Beliebtheit, wobei nur zwei Schülerinnen mit Beeinträchtigungen diese Spielformen als ihre Lieblingsinhalte erwähnten.

Zudem erfuhr der Bereich des Boden-, Gerätturnens und koordinativer Inhalte (vor allem Trampolin und Parcours) hohe Akzeptanz.

„…zum Beispiel Geräteturnen, Trampolin, Cashy-Castle, das ist so ein Abschießspiel, und was noch? Fußball, Basketball, Volleyball, Inselball,…“ (I. 2, m., k. In., Z. 4-5).

Im Zusammenhang mit diesen eben erwähnten Lieblingsinhalten zeigt sich, dass vor allem die Mädchen diese Inhalte bevorzugten, jedoch nur eine Schülerin mit Beeinträchtigung.

Die Antworten der Schüler_innen lassen darauf schließen, dass die Jugendlichen bereits mit Boden-, Gerätturnen und koordinativen Inhalten vertraut sind und über ein gewisses Fertigkeitsniveau verfügen, welches auch auf ein besonderes Engagement der unterrichtenden Sportlehrpersonen hinweist.

Der Eislaufsport wurde ebenso häufig wie Boden- und Gerätturnen als Lieblingsinhalt von den befragten Schüler_inne_n, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer (Nicht-)Beeinträchtigung, bezeichnet.

Die zur Kategorie Lieblingsinhalte gewonnenen Ergebnisse dieser Untersuchung im inklusiven Feld werden durch eine weitere österreichische Studie im nicht-inklusiven Setting, durchgeführt in Wien, bestätigt. So stellt Dallinger (2010, 74 f.) im Kontext ihrer sportwissenschaftlichen Diplomarbeit eine Rangliste der am häufigsten gewünschten Sportarten dar. Die quantitative Befragung umfasst eine Stichprobe von 127 zehn- bis 14-jährigen Mittelschüler_inne_n ohne Beeinträchtigungen. Die Ergebnisse zeigen, dass Volleyball, Gerätturnen und Trampolinturnen, unabhängig vom Geschlecht, zu den beliebtesten Sportarten für Mädchen und Jungen zählen.

Im Vergleich beider Studien, sowohl zum inklusiven als auch nicht-inklusiven Bewegungs- und Sportunterricht, wird evident, dass nur geringe Unterschiede der Schüler_innen bezüglich ihrer Auswahl der Lieblingsinhalte, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer (Nicht-)Beeinträchtigung, festzustellen sind.

K3: Sozialformen/Geschlechterverhältnis

Im Rahmen der Auswertung dieser Kategorie wird deutlich, dass die Schüler_innen den Bewegungs- und Sportunterricht in koedukativer Form im Gesamtklassenverband mit 13 Aussagen als beliebteste Sozialform einschätzten, explizit für die Inhalte Große Ballspiele, Eislaufen und Einfache Ballspiele.

„Ganze Klasse, ich möchte Eislaufen gehen“ (I. 3, w., In., Z. 5).

Es fällt auf, dass die Mädchen mit Beeinträchtigungen die Großen Ballspiele, das Boden-, Gerätturnen und weitere koordinative Inhalte im geschlechtshomogenen Klassenverband bevorzugen. Eine Schülerin mit einer mehrfachen Beeinträchtigung argumentierte während des Interviews, dass sie die Einzelstunde im Mädchenverband mit einer weiblichen Lehrperson entspannter erleben würde.

K5: Selbsteinschätzung des Eigenkönnens

In sieben Aussagen der Befragten wurde die positive Selbsteinschätzung ihres Eigenkönnens deutlich und zwar in den Bereichen Boden-, Gerätturnen (drei Nennungen zu Salto) und koordinative Inhalte (eine Nennung zu Seilspringen), Große Ballspiele (eine Nennung zu Basketball) und Einfache Spielformen mit dem Ball (eine Nennung zu Brennball) sowie Schwimmen (eine Nennung).

Vor allem bezüglich des Boden- und Gerätturnens (Salto) tätigten die Schüler_innen häufig Aussagen zu ihrer positiven Selbsteinschätzung ihres Eigenkönnens. Die Lehrpersonen legen einen besonderen Fokus auf den Bereich des Boden- und Gerätturnens und scheinen ihre Schüler_innen auf besondere Weise zu ermutigen. Es ist erwähnenswert, dass alle Aussagen zur positiven Einschätzung des Eigenkönnens von Mädchen mit Beeinträchtigungen stammten, wohingegen sich lediglich Buben ohne Beeinträchtigung dazu äußerten.

„…und ich kann sehr gut mit dem Seil halt springen“ (I. 1, w., In., Z. 6).

Textstellen, die sich auf die negative Selbsteinschätzung des Eigenkönnens bezogen, wurden vorrangig in den Aussagen von Schülerinnen mit Beeinträchtigungen offenkundig. Es fällt insgesamt auf, dass sich vor allem Mädchen mit Beeinträchtigungen zur Selbsteinschätzung ihres Eigenkönnens Gedanken machen.

„…mag sehr gerne Fußball spielen […] kann nicht so gut“ (I. 1, w., In., Z. 15).

Die Antworten der Schülerinnen, die ihr Eigenkönnen vorwiegend positiv bewerten, legen den Schluss nahe, dass diese Mädchen über ein hohes Selbstvertrauen verfügen.

Im Gegensatz dazu verweist Walker (2004, S. 59) darauf, dass vor allem bei Mädchen in der Zeit der Pubertät das Selbstkonzept abnimmt. Die geringere Beachtung der Mädchen durch Lehrpersonen in dieser sensiblen Entwicklungsphase kann Studien (ebd.) zufolge auch Ursache für ein weniger ausgeprägtes Selbstwertgefühl der Schülerinnen sein.

K8: Wunschziele

Elf Aussagen der Befragten, in ausgewogenem Verhältnis zwischen Mädchen und Buben, beinhalteten den Wunsch, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erlernen bzw. zu verbessern, wobei zehn Textstellen den Bereich des Boden- und Gerätturnens betrafen.

Im Zusammenhang mit der Auswertung dieser Kategorie wird deutlich, dass sich die Wunschziele vor allem im Bereich des Boden- und Gerätturnens auf Fertigkeiten am Boden und Reck bezogen. Nur ein beeinträchtigtes Mädchen brachte Wünsche zum Erlernen (Salto) bzw. Verbessern (Fußball) eigener Fertigkeiten und Fähigkeiten zum Ausdruck, wohingegen Schüler_innen ohne Beeinträchtigungen häufiger Wunschziele erwähnten.

„…ich möchte es so gerne ganz Fußball spielen wie die Jungs“ (I. 1, w., In., Z. 16).

In der Auswertung dieser Kategorie wird ersichtlich, dass gerade Fertigkeiten im Bereich Boden- und Gerätturnen auf die Schüler_innen eine große Faszination ausüben und für sie erstrebenswert sind. Dabei scheint die Vorbildwirkung der Lehrpersonen eine große Rolle zu spielen.

Der Einfluss der Trendsportarten Parcouring (Rom & Schichor, 2010, S. 16 ff.) und Freerunning spiegelt sich in den Aussagen der Schüler_innen zu ihren Wunschzielen ebenso wider. Dass die Bedeutung der Trendsportarten im Verlauf der Sekundarstufe I bei den Schüler_inne_n zunimmt, belegt auch die deutsche Sprintstudie von Gerlach, Kussin, Brandl-Bredenbeck und Brettschneider (2005, S. 116 f.). Die Autor_inn_en betonen im Rahmen ihrer Untersuchung zur Situation des deutschen Schulsports der Sekundarstufe I, dass die von den Schüler_inne_n gewünschten Sportaktivitäten teilweise auch von traditionellen und geschlechtsstereotypen Mustern beeinflusst werden. Nach prozentueller Häufigkeit dargestellt präferieren Mädchen Tanzen, Schwimmen, Trendsportarten, wie Inline-Skaten, Tennis, Kampfsportarten und Entspannungsübungen. Jungen hingegen bevorzugen Fußball, andere traditionsreiche Ballspiele, wie Handball und Basketball, Hockey, Tischtennis, Baseball und Kampfsportarten.

4. Zusammenschau und Ausblick

Auch wenn dieses Forschungsprojekt auf einer kleinen Stichprobe basiert, kamen dennoch interessante Ergebnisse zum Vorschein, die den Ausgangspunkt für weitere Forschung darstellen.

Diese Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Großen Ballspiele von den befragten Schüler_inne_n, unabhängig von ihrem Geschlecht und möglichen Beeinträchtigungen, als Lieblingsinhalte für ihre Traumsportstunde favorisiert werden. Ebenso wird den Bereichen Boden-, Gerätturnen und weiteren koordinativen Inhalten sowie den Einfachen Spielformen mit dem Ball und den Wintersportarten große Bedeutung zugeschrieben. Diese Erkenntnisse spiegeln sich auch in den bereits erwähnten Studien von Gerlach, Kussin, Brandl-Bredenbeck und Brettschneider (2005) sowie Dallinger (2010) wider.

Die Schüler_innen ohne Beeinträchtigungen präferieren für ihre Traumsportstunde den Unterricht im Klassenverband in koedukativer Form, wohingegen Mädchen mit Beeinträchtigungen den Bewegungs- und Sportunterricht im geschlechtshomogenen Klassenverband bevorzugen. Zu diesen Ergebnissen liegen kaum Vergleichsstudien in Österreich vor, da der Lehrplan für Bewegung und Sport der Sekundarstufe keine Koedukation, außer in Schulen mit sportlichem Schwerpunkt, für dieses Fach vorsieht.

Dallinger (2010, S. 67), die ihre Untersuchung in einer Sportmittelschule in Wien im Kontext koedukativen Bewegungs- und Sportunterrichts durchführte, kam zu folgendem bemerkenswerten Ergebnis: 70,4 % aller befragten Schüler_innen sprachen sich für einen koedukativ geführten Sportunterricht aus, lediglich 29,6 %, vor allem Mädchen, gaben an, die Sozialform der geschlechtshomogenen Gruppe zu bevorzugen.

Zudem verweisen die Untersuchungsergebnisse darauf, dass sich die Schüler_innen häufiger positiv als negativ zur Selbsteinschätzung ihres Eigenkönnens äußern. Dabei fällt auf, dass sich besonders Mädchen mit Beeinträchtigungen Gedanken zu ihrem Eigenkönnen machen.

Vor allem Schüler_innen ohne Beeinträchtigungen setzen sich im Kontext des Bewegungs- und Sportunterrichts konkrete Ziele, die sich auf das Erlernen bzw. Verbessern ihrer Fertigkeiten am Boden und Reck beziehen.

Als zentrales Forschungsergebnis kann festgehalten werden, dass sich die wesentlichen Faktoren für das Gelingen des Bewegungs- und Sportunterrichts im inklusiven Setting in den ausgewählten Kategorien widerspiegeln: Diese Gelingensfaktoren umfassen die adäquate und motivationale Auswahl von Inhalten sowie die differenzsensible Organisation der Sozialformen. Zudem tragen die positive Einschätzung des Eigenkönnens sowie der Wunsch, sportliche Ziele zu erreichen, wesentlich dazu bei, dass die Schüler_innen ihren Bewegungsunterricht als Traumsportstunde erleben.

Die aus dieser partizipativen Untersuchung gewonnenen Ergebnisse werden in die zukünftige Vorbereitung und Umsetzung des Bewegungsund Sportunterrichts der forschungsbetroffenen Klasse einfließen. Überdies werden die Erkenntnisse der vorliegenden Studie für die Fortsetzung dieses Forschungsprojekts genützt. So könnten beispielsweise die Interviewtranskripte der jugendlichen Expert_inn_en von ihnen eigenständig kodiert werden, um einen Vergleich zwischen den von den Schüler_inne_n und den Lehrenden gewonnenen Kategorien anzustellen. Dadurch würden die forschenden Schüler_innen auch in den Auswertungsprozess des zukünftigen Forschungsprojekts eingebunden. Zusätzlich könnte die Methode der fokussierten Gruppendiskussion mit den jugendlichen Forscher_inne_n neue Aspekte zu den Gelingensfaktoren für inklusiven Sportunterricht hervorbringen.

Diese Pilotstudie verdeutlicht, wie offen und selbstverständlich sich alle an der Forschung partizipierenden Schüler_innen im Rahmen des Bewegungs- und Sportunterrichts begegnen. Eine inklusive Haltung, die auf Offenheit, Wertschätzung und Akzeptanz gründet, ist der zentrale Baustein und die partizipative Aufgabe aller Schulbeteiligten (Reich, 2012, S. 11) für gelingenden differenzsensiblen Unterricht. Erfolgreiche Lehrpersonen sind aufgrund ihrer kommunikativen und kooperativen Kompetenzen in der Lage, gute Beziehungen mit allen Lernenden und ihren Teamkolleg_inn_en herzustellen. (Reich, 2015, S. 45) Auch die Hattie-Studie (2009; zitiert nach Reich, 2015, S. 45) betont im Zusammenhang mit erfolgreichem Lernen die Bedeutung einer respektvollen Beziehungsgestaltung zwischen Lehrpersonen und Schüler_inne_n, der ein positives Lernklima und die Begeisterungsfähigkeit einer Lehrperson zugrunde liegen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass verbindliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gelingenden inklusiven Unterricht ermöglichen. In diesem Sinne können vorhandene Barrieren abgebaut und neue Wege beschritten werden (Reich, 2012, S. 11), die zukunftsweisend in der öffentlichen Institution Schule in Richtung Diversitiy Management gehen können. (Bambach & Kuhn-Fleuchhaus, 2015, S. 3). Mit diesem aus den USA stammenden Trend wird ein Begriff geprägt, der die Realisierung von Möglichkeiten verspricht und das Bild einer Institution vermitteln möchte, die das Individuum wertschätzt, mit dem neuen Leitbild der Vielfalt statt Gleichheit (ebd. S. 103), Grundgedanken, die denselben Zielvorstellungen eines gelingenden Inklusionsprozesses im Kontext Schule und Unterricht entsprechen.

 

Literatur

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