Knapp Hans - Irritation - TheoArt-komparativ

Irritation

Ein Installationsprojekt in verschiedenen Ausführungen, 1994–2014

Von Hans Knapp

 

Bilder und Geschichten, auf welche ich mit diesem Projekt reagiere:

 

  1. Die Anbetung des Lammes, Deckenfresko von Paul Troger, 1750, Dom zu Brixen.
  2. Genesis 22 und christliche Deutungen des Abraham-Opfers, welche eine Verbindung zur Leidensgeschichte Jesu herstellen.
  3. Jesus am Kreuz, allgegenwärtig.

 

Ich hänge einen Widderschädel an das Fensterkreuz und setze eine Krone aus Goldpapier darauf: „Die Anbetung des Lammes.“

1. Fassung
„Die Anbetung des Lammes“ oder Geschichten über Anfang und Ende

(Ursprung und Ziel?)

Installation, Oktober 1994, Kirche des Priesterseminars in Brixen

 

2. Fassung (kein Bild)

„Still-leben“, St. Pölten 1998

Südtiroler Kulturwoche in Niederösterreich, Gemeinschaftsausstellung „Motive der Stille“

 

3. Fassung

… und Du glaubst, einen anderen Weg hätte es nicht gegeben …?
Südtiroler Künstlerbund, Hofburg Brixen: Kunst und Sakralraum, 2006

 

4. Fassung

„Ins Freie gehen“

Stadtgalerie Brixen, November 2011

 

5. Fassung

„Remember your humanity, and forget the rest“

Hofburg Brixen, April 2014

 

Die Werke in den Sammlungen des Diözesanmuseums (Hofburg zu Brixen/Bressanone) zeigen, dass Menschen in religiösen Darstellungen Sicherheit, Anleitung, Warnung, Trost finden. Mit solchen Bildern bin ich aufgewachsen.

Heute weiß ich: Es gibt gläubige Menschen in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und daneben gibt es Menschen, die ihre existentiellen Erfahrungen und das, was sie von der Welt zu wissen meinen, nicht mit den Dogmen und Gottesvorstellungen einer Religion zusammen zu denken vermögen. Nicht trotzdem zu ‚glauben‘, was widersprüchlich erscheint, wird von Gläubigen nicht selten als überheblich oder als kleinlich empfunden, jedenfalls als moralischer Makel.

Es bringt nicht viel, über diese Dinge zu reden, die Güte oder Nicht-Existenz Gottes beweisen zu wollen. Man muss hoffen, dass konfessionell Gläubige, Agnostiker und humanistische Atheisten durch ihre unterschiedlichen Sichtweisen nicht daran gehindert werden, auch über Grenzen hinweg Mitgefühl zu empfinden und Gerechtigkeit zu entwickeln.

 

Dieses Kunstprojekt und die nachfolgenden Überlegungen zum Kreuz und zur Freiheit sind nicht zusammen entstanden. Gemeinsam ist ihnen eine Irritation.

In den Überlegungen ist nichts, was nicht schon oft gesagt und bestritten worden wäre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die christliche (katholische) Religion,

in der ich aufgewachsen bin, bietet mir Bilder und Geschichten an, schöne und schreckliche, verstörende und ermutigende. Diese Bilder und Geschichten sind voll von Leben und ich kann sie betrachten und bedenken, aber es erscheint mir nicht möglich, daraus eine einheitliche und schlüssige Deutung der Welt zu gewinnen.

Ich glaube vieles, was ich nicht selbst überprüfen kann, und ich hoffe auf manches, auch wenn ich sein Eintreten für ziemlich unwahrscheinlich halte. Einem Glauben und Hoffen, das mich auch auf Annahmen und Erwartungen festlegen will, die mir absurd oder mit logischen Widersprüchen behaftet zu sein scheinen, vermag ich nicht zu folgen. 

 

Das Kreuz irritiert mich

Die Darstellung von Jesus  am Kreuz ist das am weitesten verbreitete Symbol des Christentums. Nach christlicher Auffassung waren das Leiden und der Tod Jesu am Kreuz unabdingbar für die Erlösung der Menschen. Bei jeder Messe spricht der Priester die Worte:„Hic est enim calix sanguinis mei […], qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum.“

Zwei Annahmen scheinen mir zu den Voraussetzungen dieser Lehre von der Erlösung durch das Kreuz zu gehören:

Gott wollte freie Menschen, und wenn Gott freie Menschen wollte, musste er in Kauf nehmen, dass Menschen ihre Freiheit missbrauchen und sündigen (böse sein) würden.

Die Sünden der Menschen konnten nur durch Leiden ‚im selben Verhältnis‘ gesühnt oder wiedergutgemacht werden.

 

Sünde und Erlösung

Wir Menschen verstoßen in der Tat oft gegen die Gebote Gottes. Das eigentlich Böse am Bösen ist die ‚Sünde‘, der Ungehorsam, der Gott beleidigt, und um der göttlichen Gerechtigkeit willen muss diese Beleidigung durch Leiden in entsprechender  Größe ausgeglichen werden. Kein menschliches Leiden wäre dafür groß genug, aber weil nun dieser zürnende Gott auch ein Gott der Liebe ist, bezahlt er selbst in seiner zweiten Person als Sohn das Lösegeld am Kreuz. Deshalb kann Gott nun reuigen Sündern verzeihen und ihnen statt ewiger  Höllenqualen das himmlische Paradies bereiten.

‚Erlösen‘ heißt also nicht, uns in dieser Welt zu Hilfe zu kommen, wenn wir  Opfer von bösen Taten sind, sondern uns beim strafenden Gott auszulösen, wenn wir zu Tätern geworden sind und vor dem Tod Reue zeigen.

Manchmal wird diese Satisfaktionslehre durch eine zunächst weniger verwirrend erscheinende Deutung des Kreuzes abgeschattet: Der liebende Gott steht auf der Seite derer, die leiden, und will als Mensch und Vorbild auch die schrecklichsten Leiden seiner Geschöpfe teilen. Der Sinn des Kreuzes sei es demnach, die bedingungslose Teilnahme Gottes am Schicksal des Menschen zu offenbaren. Aber bleibt dahinter der Sühnecharakter des Kreuzes bestehen (dann wäre das Verschieben der Aufmerksamkeit eher eine Mogelei) oder wird davon abgegangen? Hätten die Menschen allein durch Jesu Lehre und Beispiel ‚erlöst‘ werden können, wenn die historischen Umstände andere gewesen wären und Jesus, wie zum Beispiel Buddha oder Konfuzius, eines natürlichen Todes gestorben wäre? Noch weiter reicht die folgende Frage:

Warum hilft Gott, der doch allmächtig und allwissend ist, den Leidenden nicht in dieser Welt, warum stellt er seine Geschöpfe in dieses ‚Jammertal‘ zu einer Probezeit, in der sie sich das Paradies erst verdienen müssen (und dies doch allein nicht können)? Die Frage, warum Gott nicht eine Welt erschaffen hat, in der die Menschen weniger sündigen würden (in der sie – weltlich gesprochen – einander weniger Leid zufügen würden), stellt sich jedem Nachdenken über Gott.

Um der Freiheit willen, wird gesagt.

 

Freiheit: Schöpfer – Geschöpf – Freiheit

In welchem Sinne kann ein Mensch gegenüber seinem Schöpfer frei sein?  Und wäre es durch das Wesen oder den Begriff der Freiheit ausgeschlossen, dass  Geschöpfe, die von Natur aus keine oder weniger böse Neigungen hätten und deshalb immer oder meistens das Gute wählen würden, frei sein könnten?

Der Mensch findet sich in einer Welt mit vielen offenen Wegen und es hängt dann von ihm selbst ab, wohin er gehen will. Wer nach links gehen will, kann nach links gehen und wer nach rechts gehen will, kann nach rechts gehen. 

Kann ich aber auch, wenn ich will, nach links gehen wollen und wenn ich es anders will, nach rechts gehen wollen? Und sofern ich dies könnte, wovon würde es abhängen, ob ich das eine oder das andere wollen würde …?

Wenn wir annehmen, dass in der geschaffenen Welt nichts ohne Ursache geschieht, so steht auch jedes Wollen, jedes Wünschen und  Meinen und jedes Handeln in Ketten von Ursachen und Wirkungen, die allerdings meistens nicht in unser Bewusstsein gelangen. (Auch Gründe, die wir uns zuschreiben, benennen nicht immer das, was uns tatsächlich bewegt.) Jedes persönliche Wollen ist zudem in der Zeit beschränkt: Zwar mögen mein jetziger Charakter, meine Wünsche und mein Denken durch frühere bewusste Entscheidungen geformt worden sein, aber meine persönlichen Entscheidungen verlieren sich notwendigerweise in meiner Kindheit und meine Geschichte geht über die Vorfahren weiter und schließlich zurück bis zur ‚causa prima‘.

Oder sollen wir annehmen, dass manchmal unvermittelt ein Wollen entsteht (ein moderner Vorschlag lautet: wenn Quanten im Gehirn tanzen), das nicht hinreichend durch das bestimmt ist, was für ein Mensch der Akteur bisher war, was er gewünscht und geglaubt und getan hat? Auf das, was zufällig in oder mit mir geschieht, habe ich per definitionem keinen Einfluss, und es wäre widersinnig, ein Wollen herbeiführen zu wollen, das durch nichts und niemanden herbeigeführt sein soll. Dass meine Verantwortlichkeit gerade in der Möglichkeit solcher Zufälle liegen sollte, erscheint mir wenig überzeugend.

Wenn diese indeterministische Vorstellung mit einem Schöpfergott verbunden wird, so muss dies ein Gott sein, der Geschaffenes so macht, dass  Geschöpfe aus sich heraus Bewegungen oder Verhaltensweisen hervorbringen, die nicht ursächlich davon abhängen, welche Eigenschaften sie besitzen beziehungsweise welche sie vom Schöpfer erhalten haben.

Ist Gott ein Spieler und wäre eine solche Offenheit seiner Schöpfung mit dem Begriff eines allmächtigen und allwissenden Gottes vereinbar? Und will oder kann Gott auch dann nicht eingreifen, wenn irgendeinmal zufällig einige Geschöpfe andere Geschöpfe zu Millionen morden?

 

Die nachstehenden Schlussfolgerungen scheinen mir unausweichlich:

Der Begriff einer menschlichen Freiheit, die den Schöpfergott aus der Verantwortung heben würde, ist widersprüchlich.

Wenn alles, was geschieht, ursächlich zum Schöpfer zurückführt, wäre es irrational, würde dieser die Taten seiner Geschöpfe nicht letztlich als seine eigenen gelten lassen oder beanspruchen. Und wenn es irreguläre Ereignisse gibt, eine Offenheit oder ‚Freiheit‘, die dem Menschen widerfährt und die auch nicht auf Gott als Ursache bezogen ist,  so erschiene es mir ungerecht,  diese dem Menschen anzurechnen, nicht aber dem Gott, der ihn erschaffen hat.

Die Freiheit kann auch nicht als Grund dafür herangezogen werden,

dass Gott den freien Menschen so erschaffen musste, wie er ihn erschaffen hat. Niemand besitzt alle denkbaren Fähigkeiten, niemand hat alle denkbaren Neigungen. Freiheit erfordert  nicht die Fähigkeit und Neigung zur Sünde, sie erfordert nur Gelegenheiten dafür, in einer Welt von Alternativen autonom, selbstbestimmt, aus dem eigenen Sein heraus, wählen und handeln zu können. Wesen, die von Natur aus weniger gewalttätig, weniger feige wären, die gütiger, mutiger und vielleicht auch intelligenter wären, als wir Menschen es sind, wären in genau demselben Sinn frei wie wir Menschen frei sein können.

 

Freiheit: Wir Menschen machen einander verantwortlich – zu Recht?

Ein eher harmloses Beispiel: Ich bin schneller gefahren, als es die Straßenverkehrsordnung erlaubt. Ich sage zum kontrollierenden Polizisten, er habe nur dann das Recht, mich zu bestrafen, wenn ich es mir aussuchen hätte können, was für ein Mensch ich bin: einer, der sich an die Vorschrift halten will, oder einer, der sie übertreten will. 

Oder ich sage, dass auch der Zufall mit-‚entschieden‘ habe, wie schnell ich gefahren bin;  ich hätte mein Fahrverhalten  manchmal einfach nicht unter Kontrolle, deshalb sei keine Absicht vorhanden gewesen und eine Strafe nicht gerechtfertigt.

Natürlich kann auch der Polizist ‚nichts dafür‘, dass er trotzdem ein Strafmandat ausstellt.

 

Was schulden wir Menschen einander? Hinsichtlich welcher Grundlage verhandeln wir darüber?

Wir könnten es mit „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ versuchen. Oder, ziemlich anspruchsvoll, mit „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.

Wenn menschliches Denken und Fühlen und Handeln weitgehend auf Solidarität mit den Schwachen und Leidenden, auf die Anerkennung der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen und auf Gerechtigkeit ausgerichtet werden könnten, so wäre dies schon ein Gutteil ‚Erlösung‘. Menschen, die sich im Bemühen darum in der Nachfolge Jesu sehen, genießen meinen Respekt genauso wie Menschen, die andere Quellen einer humanen Moral gefunden haben oder suchen.

 

Ins Freie gehen

Etwas hinter sich lassen können.

Es sein lassen können, alle Widersprüche im begrifflichen Nebel um die Götter herum aufdecken zu wollen. Weggehen können.

Schauen, wie die ‚diesseitige‘ Welt funktioniert. Das ist oft nicht klar erkennbar. Das ist nicht immer schön, oft schrecklich.

Sich in der Welt einmischen, darüber reden, was wichtig ist, etwas dafür tun.