Holzner Magdalena - Die Bedeutung des Religiösen in der Kinderliteratur der Gegenwart - TheoArt-komparativ

Holzner Magdalena

Die Bedeutung des Religiösen in der deutschsprachigen Kinderliteratur der Gegenwart

 

 

Die Verbindung von christlicher Religion und deutschsprachiger Literatur ist in der Vergangenheit sehr klar erkennbar, denn der hohe Stellenwert des Christentums in der Bevölkerung spiegelt sich darin wider. Literatur und Religion bildeten bis zur Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts (Langenhorst, o.J., o.S.) eine Einheit und vor allem Kinderbücher dienten lange der christlich-moralischen Belehrung und dem Vermitteln grundlegender Glaubensinhalte.

Dabei ist gegenwärtig zu beobachten, dass sich die „persönliche Religiosität […] immer stärker von kirchlichen Bindungen und Glaubensvorstellungen“ (artikeljulit_1.pdf, 2006, o.S.) löst. Erziehung erfolgt ebenso nur mehr selten unter christlich-religiösem Einfluss. Jedoch bleiben „Orientierung und Sinnstiftung“ in der Entwicklung von zentraler Bedeutung. (artikeljulit_1.pdf, 2006, o.S.)

Die Kultur steht gegenwärtig in einer freien Beziehung zur Religion und zum Glauben. Kardinal Poupard, ehemaliger Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur, beklagt diese Trennung von „Glaube und Kultur“ und stellt eine „Zersplitterung des Wissens, den Zusammenbruch des philosophisch Absoluten und das Wiederaufkommen des Nihilismus sowie den Schwund am Einfluss religiösen Denkens“ auf kultureller Ebene fest. „Jedoch tritt in dieser kulturellen Lage immer stärker die Frage nach dem Sinn in den Vordergrund.“ (Poupard, 2001, S.5) Die Suche nach diesem Sinn, nach der „Wahrheit“ findet, laut Poupard, der Mensch in sich selbst, aber auch in der Bibel, in Gottes Wort. Dabei richtet er den Blick auf das Zusammenspiel von Bibel und Kultur, „in seinen verschiedenen Ausprägungen, von der Philosophie zur Literatur, von der Kunst zur Poesie, von der Musik bis zum Theater“. (Poupard, 2001, S.6) Poupard rät, Transzendenz nicht abzulehnen und dem Dialog Religion und Kunst/Kultur mutig entgegenzutreten. (Poupard, 2001, S.5-7)

Diesem Dialog können auch Pädagogen und Pädagoginnen mutig entgegentreten und Kunst und Literatur als Antwort auf kindliche existentielle Fragen nutzen. Da die Imaginationskraft von Kindern sehr stark ausgeprägt ist und ein enormes Interesse an Weltzuständen besteht, sind es gerade Erzählungen, die hier oft eine Brücke bilden. Georg Langenhorst schreibt:

„Kinder wie Jugendliche brauchen […] Erzählungen und Geschichten, mit deren Hilfe sie ihre Lebenswelt deuten, ausdrücken und gestalten, in denen sie Sehnsüchte, Ängste, Identitätssuche […] fiktional durchspielen können. Die meisten Kinder verstehen solche ‚stories‘ wörtlich, können und wollen nicht symbolische Deutungen an diese Geschichten herantragen, brauchen gerundete und abgeschlossene Erzählungen […]. Sie lieben Phantasie, Wunderbares, Magisches, das seinen Zauber gerade dadurch behält, dass es nicht erklärt, rationalisiert, aufgelöst wird.“ (Langenhorst, 2011, S.55f)

 

Religion im Kinderbuch

Was bedeutet „religiöse Kinderliteratur“? Erste Assoziationen treffen häufig auf Kinderbibeln oder adaptierte Bibelgeschichten, was nicht unbedingt falsch ist, jedoch nur einen Teil des Genres bilden. Anneliese Werner zählt Bücher, die sich primär mit „Grundfragen des Menschen“ beschäftigen und Religion thematisieren, zu der Kategorie „religiöse Jugendliteratur“ im weiteren Sinn“ (Werner, 1982, S. 51). Die Kategorie „religiöse Jugendliteratur im engeren Sinn“ (Werner, 1982, S. 51) versteht sie als Vermittler von Glaubensinhalten der jeweiligen Religion. Die dritte Kategorie beschreibt „nichtintentional [sic] religiöse Jugendliteratur“ (Werner, 1982, S. 51), die unbewusst zum Überlegen und Fragen anregen kann. (Werner, 1982, S. 51) Diese Unterscheidung wird bis heute in „leichten Variationen und wechselnder Begrifflichkeit“ (Langenhorst, 2011, S13) in Diskussionen über die Thematik verwendet.

Magda Motté unterteilt Inhalte der Literatur und der Kinder- und Jugendliteratur in „ethisch-existentiell“, „transzendental-religiös“ und in „christliche Botschaft“. (Motté, 2003, S. 146f) Lebenserfahrungen und -bewältigungen in Geschichten, die Lesende zum Nachdenken und Reflektieren anregen und sich  im „Vorraum des Glaubens“ (Motté, 2003, S. 147) befinden, ordnet sie der „ethisch-existentiellen Ebene“ zu. Sobald in Texten der Gedanke nach Erlösung eintritt und die Suche nach etwas Höherem beginnt, spricht sie von einer „transzendental-religiösen Dimension“. Als dritte verwendet sie die Kategorie der „christlichen Botschaft“. Motté spricht hier von einer christlichen Botschaft in Bezug auf Erniedrigung und Erlösung. (Motté, 2003, S. 146-148)

Gegenwärtig ist vor allem der Bezug zur Transzendenz und Spiritualität in der Kinderliteratur ausschlaggebend. Aber auch die christliche Botschaft, vergleichbar mit „religiös im weiteren Sinne“, zeugt wieder mehr von Relevanz. Der oftmals sehr weitgefasste Begriff der Religion in den vergangenen Forschungen erfährt neue Orientierung und scheint kompatibel mit Forschungen über Theologie und Literatur. (Langenhorst, 2011, S.22f)

Für die Religionspädagogik öffnet sich mit Kinder- und Jugendliteratur ein Zugang, der didaktisch sehr wertvoll sein kann. Das Ziel bei einem Einsatz von Kinderbüchern im Religionsunterricht sollte dabei aber nicht sein, Kinderbibeln oder „explizite ‚christliche‘ Literatur“ als Lektüre zu verwenden, sondern stattdessen „Modelle für alle Werte und Bereiche des Menschlichen, heutzutage beispielsweise auch für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ zu beachten. (Nauerth, 2010, S.159)

Was auch Langenhorst zusätzlich betont, ist die Gefahr, dass Literatur einem bestimmten „herbeigeführten“ Anliegen dient und im Religionsunterricht nicht „in ein enges religiöses Deutungsschema“ (Langenhorst, 2011, S.170) hineingepresst werden darf. Gleichzeitig schreibt er aber, dass eine literarische Betrachtung immer einem Funktionalisierungsprozess unterliegt, da es einen „interessensfreien Umgang mit Literatur“ (Langenhorst, 2011, S.170) nicht gibt. Entscheidend ist also, dass die „Textdeutung […] stringent und in sich stimmig“ bleibt und diesbezüglich selbstreflektierend gearbeitet wird. Die Verwendung von Literatur im Religionsunterricht soll Schüler und Schülerinnen, im Gegensatz zum Deutschunterricht, einen freien Zugang ermöglichen, jedoch soll der „Blick auf die Verbindung von Inhalt und Form, von Ästhetik und Semmantik“ trotzdem nicht verloren gehen, um eben einseitige Betrachtungen zu vermeiden. (Langenhorst, 2011, S.170-172)

Langenhorst präzisiert noch einmal die für den Religionsunterricht relevanten „didaktischen Chancen der Kinder- und Jugendliteratur“ (Langenhorst 2011, S.180), die gewisse Parallelen zu den oben genannten für Literatur und Theologie aufweisen.

  • Subjektivität: Unter diesem Aspekt werden Sichtweisen der Autoren und Autorinnen von Kinder- und Jugendbüchern über „das Phänomen Religion“ betrachtet. „Religiöses Leben ist stets subjektive Erfahrung ganz konkreter Begegnungen, Gedanken, Auseinandersetzungen.“ (Langenhorst 2011, S.180)
  • Perspektivität: Die Auffassungen über religiöse Gegebenheiten anderer können prägend für eigene Ansichten sein. „Literatur ermöglicht das perspektivische Hineinschlüpfen in verschiedene existentielle und moralische Standpunkte.“ (Langenhorst 2011, S.180f)
  • Alterität: Es ist nicht immer der Fall, dass die bisher genannten didaktischen Zugänge Kinder erreichen. Werden „fremde Lebenswelten oder […] andere Religionen“ (Langenhorst 2011, S.181) behandelt, so kann dies auch zu „Grenzerfahrungen“ im Umgang mit Fremdheit führen. Alterität bewirkt hier eine realistische „Einschätzung der Möglichkeiten und der Reichweite des perspektivischen Lernens“ über fremde Konstellationen. (Langenhorst 2011, S.181)
  • Authentizität: Die Vermittlung von ethischen und religiösen Inhalten erfordert eine gewisse Authentizität der Lehrperson, die nicht immer erfüllt ist. „Objektives Wissen ist so zwar vermittelbar, subjektive Einfühlung aber nur zum Teil.“ (Langenhorst 2011, S.181) Ebenso ist ein Autor, eine Autorin von Kinderbüchern gefordert, seine/ihre Erzählwelt überzeugend darzustellen. Es soll möglich sein, „sich in andere Lebensgefühle fiktiv hineinversetzen zu können.“ (Langenhorst 2011, S.181)
  • Personalität: Damit das Hineinversetzen gelingt, benötigt es Identifikationsfiguren, die frei wählbar sein müssen. Der Zugang über einen Identifikationsprozess kann das Verständnis über die Lebenswelt der Figuren erleichtern. (Langenhorst 2011, S.182)
  • Reflektivität: Dort wo Religiosität in Kinder- und Jugendliteratur zur Sprache kommt, bildet sie ein „Medium, in dem Religion kritisch reflektiert wird“. (Langenhorst 2011, S.182) Die Erfahrung über die Literatur ist „offener, subjektiver, phantasiebetonter“ und ebnet den Weg zu „eigener religiöser Überzeugung“. (Langenhorst 2011, S.182)
  • Expressivität: Für die Sprachkompetenz im Themenbereich Religion kann der „Umgang mit Werken der Kinder- und Jugendliteratur“ (Langenhorst 2011, S.181) für Schüler und Schülerinnen anregend und fördernd wirken.

(Langenhorst 2011, S.180-182)

Bücher, bei denen diese Kriterien schließlich mehr oder weniger erfüllt werden und nicht nur einen religiösen Unterricht begleiten könnten, sind wie folgt:

 

An der Arche um Acht

Zwar bildet bei dieser Geschichte die alte biblische Erzählung der Sintflut die Grundlage, jedoch liegt das Hauptaugenmerk nicht bei Noah und seiner Verbindung zu Gott. Im zentralen Mittelpunkt stehen drei unscheinbare, streitsüchtige Pinguine und eine gestresste Taube. Auch die Angst vor einer Bestrafung, als die drei Pinguine auffliegen, gilt Gott und auch Noah und hier wirkt es so, als könnten sie diese beiden Gestalten nicht trennen. Erst Noah selbst bringt mit seinem Spruch am Ende Klarheit in die Situation und diese Gedanken können auf verschiedene Glaubensgrundsätze ausgelegt werden. Gott gesteht sich in Gestalt des Pinguins Reue ein, am Ende der Erzählung verweist Noah auf dessen Entschuldigung in Form des Regenbogens.

„Die Theodizeefrage, die die Pinguine auf der Arche noch gequält hat, findet hier eine Lösung: Gott gibt – so die Deutung der Pinguine – zu, dass er einen Fehler gemacht hat.“ (Ballis, 2011, S.82)

Diese religiöse Botschaft geht einher mit Grundwerten des Menschen und die eigentliche Problematik, die Ungewissheit gegenüber Gott sowie alle Sorgen darüber, ist neben dem Zusammenhalt der Freundschaft, beinahe nebensächlich. Die drei Pinguine finden im Laufe der Geschichte wieder zueinander und „zeigen sich in schweren Zeiten trotz aller Unstimmigkeiten untereinander solidarisch.“ (Ballis, 2011, S.82) Es steht unter keiner religiösen Zielrichtung, sondern schafft einen anderen Zugang zu diesen alten biblischen Inhalten, regt zum Nachdenken „über das göttliche Gesetz menschliche Nächstenliebe, über Glauben und Nicht-Glauben, Schuld, Moral, Sünde, die Gebote und den Gottesbeweis“ (Hahn, o.J.,o.S.) an und stellt alles zugleich in Frage.

Ulrich Hub selbst meint in einem Interview, dass die Umsetzung dieses Kinderbuchs beinahe an seiner fehlenden Auseinandersetzung mit Gott gescheitert wäre. Er überträgt die Weltsicht der Menschen auf seine Protagonisten und „stellt in Frage, was die Menschen mit dem Begriff Gott anfangen“. (Schimmelpfenning, o.J., o.S.)

Auch wenn die Bibel und das Kinderbuch von unterschiedlicher Intention geleitet sind, stehen sie in Beziehung zueinander. An der Arche um Acht ist sicherlich im Unterricht gut einsetzbar, da trotz aller Neuinterpretationen, sich der Bezug zur Sintflut-Geschichte anbietet. Allerdings besteht hier eben die Möglichkeit auf andere Gottesbilder (die auch in sich selbst zu finden sind?) und reflektiert auf religiöse Werte einzugehen.

 

Der Hund mit dem gelben Herzen oder die Geschichte vom Gegenteil

In Der Hund mit dem gelben Herzen finden sich einige Parallelen zur Schöpfungsgeschichte und Möglichkeiten für Intertextualität und Alterität. Das biblische Zitat „Da schied Gott das Licht von der Finsternis“ heißt in Der Hund mit dem gelben Herzen: „Die Finsternis ist schwarz, also muss das Licht weiß sein. Das Licht war das erste Gegenteil.“ (Haas, Rank, 2002, S.9) Richter gibt neben der Bibel auch „die Buber-Rosenzweig-Übersetzung“ als Inspiriation an. In diesem Text steht zu Beginn: „Im Anfang war Irrsal und Wirrsal, Finsternis lag über Urwirbels Antlitz“. (Haas, Rank, 2002, S.9f) Richter stellt mit dieser Gegenüberstellung von Licht und Finsternis außerdem „intertextuelle Bezüge her, etwa zur chinesischen Entstehung der Welt aus Ying und Yang“. (Cramer, 2010, S.139)

Über die paradiesische Pforte sagt die Autorin, der Unterschied zu ihrer Erzählung besteht darin, dass jedes Individuum „einen eigenen Zugang“, eine eigene „angelehnte Tür“, hat. (Haas, Rank, 2002, S.10) Deshalb ist es Lobkowitz nicht möglich durch die Pforte des Hundes wieder hineinzugelangen.

Mit ihrer Erzählung will Jutta Richter „einen neuen Ansatz“ schaffen und einem „engen Gehäuse der kirchlichen und christlichen Erziehung“ entgegenstehen. (Haas, Rank, 2002, S.10) Gott wird hier keine „Allmacht“ zugesprochen und indem von diesem „Allumfassenden“ abgerückt wird, kommt seine Einsamkeit zum Vorschein. Die Geschichte kann als Parabel und als Schöpfungsgeschichte verstanden werden. Eine „Parabel vom nicht verloren Gehen, vom Nicht-verloren-Gehen mit einem metaphysisch-religiösen Hintergrund“.(Haas, Rank, 2002, S.10)

Die Besonderheit der ganzen Geschichte über G. Ott und Lobkowitz ist aber auch, dass sie durch die „trunkenen Phantasien eines Penners oder in der Erzählkunst eines Märchenhundes, der sich mit seinen Geschichten die nächste Mahlzeit sichert“ (Mattenklott, 1998, S. 37), einfach aufgelöst werden kann.

 

Gewitternacht

Diese Geschichte setzt sich aus Fragestellungen über das Leben zusammen, die mit aussagekräftigen Bildern unterstützt werden. Im Mittelpunkt steht ein Mädchen, das vor dem Einschlafen Lesende in seine Gedanken einsehen lässt und dadurch m. E. sehr wertvollen Diskussionsstoff bietet. Sein Hund bietet ihm bei seinen oftmals auch beängstigenden Überlegungen Halt und Realitätsbewusstsein. Die Geschichte beginnt mit Bildern von dem Handlungsort. Ein alleinstehendes Haus, schwarze Wolken und bewegte Bäume schaffen eine düstere Atmosphäre. Ein Gewitter zieht auf.

Auf den nächsten Seiten wird diese Düsterheit durch eine Gutenachtsituation abgelöst. Das Kind genießt elterliche Fürsorge, zumindest lässt das Bild es so erscheinen. Zu Bett geht das Mädchen allerdings selbstständig, nur sein Hund Fido begleitet es. Da es ihm nicht gelingt einzuschlafen, fängt es an nachzudenken.

Lemieux: Gewitternacht (1996), o.S.

 

Die erste Frage, die es in den Raum stellt bzw. an ihren Hund richtet, ist: „Wo endet die Unendlichkeit?“ (Lemieux, 1996, o.S)

Die Gedanken dieses Kindes sind aufeinander aufbauend bzw. einander ablösend. Manches vom Anfang wiederholt sich in einem anderen Kontext, an einer anderen Stelle, z. B. die Beschäftigung mit der Unendlichkeit, die Anerkennung, das Wechseln des Körpers, das am Ende zur Reinkarnation wird. Mit Gott, dem Teufel und der Vorstellung von Himmel und Hölle nehmen auch religiös-transzendente Überlegungen Platz ein und bieten mehrere mögliche Erklärungen. Alle Fragen und Bilder lassen die Emotionen des Mädchens deutlich werden. Beunruhigung ist genauso spürbar wie freudige Erwartung oder Verzweiflung.

Sämtliche Gedanken aus dem Buch „schulen den Gebrauch der Sprache, das eigenständige Formulieren von Fragen, von Beispielen und Gegenbeispielen, das Weiterspinnen von Gedanken, das Hinterfragen von Begriffen, den Transfer von Überlegungen, und den Perspektivenwechsel im Dialog miteinander.“ Dass die Fragen unbeantwortet bleiben, ist ein großer Vorteil für die Auseinandersetzung mit diesem Bilderbuch, sie bieten nur eine Anregung für weiteres Philosophieren. Kinder lernen dabei, dass Fragen offen bleiben können und Überleitungen bilden können. Sie „sprechen über Erfahrungen von Transzendenz und vielleicht sogar über metaphysische Grenzfragen und bewahren das Wissen um Geheimnisse und Rätsel der menschlichen Existenz.“ (Schreiner, o.J., S.8) Michele Lemieux wollte mit diesem Bilderbuch „intuitiv die Einfachheit und Wahrhaftigkeit des Lebens“ festhalten und „Existentielles in Frage stellen“. Über Gewitternacht sagt sie:

„Dieses Buch ist wie ein Dialog, eine offene Tür zwischen der Kinder- und der Erwachsenenwelt. Ich wollte die Welt aus den Augen dieses jungen Mädchens zeigen, das sich über eine ganz einfache Erfahrung wundert: das Dasein!“ (Lemieux, 2004, zit. nach internationales literaturfestival berlin, o.J., o.S.)

Die Bandbreite der angesprochenen Themen reicht sehr weit, Fragen über das Selbst, über die Entstehung eines Lebens, den Umgang mit Gefühlen schaffen eine interessante Gedankenwelt, die auch außerhalb des Religionsunterrichts beantwortet werden könnten.

 

Ente, Tod und Tulpe

Die Geschichte erzählt von einer Ente, die plötzlich die Bekanntschaft des Todes macht, ihn eher „bemerkt“. Sie hat Angst, denn sie weiß über die Bedeutung dieser Gestalt. „Und jetzt kommst du mich holen?“ „Ich bin schon in deiner Nähe, solange du lebst […]“ (Erlbruch, 2007, o.S.)

Erlbruch: Ente, Tod und Tulpe (2007), o.S.

 

Wolf Erlbruch bedient sich in seinem Bilderbuch sehr schöner Metaphern und verwendet unverblümte schöne Illustrationen. Er zeichnet die Figuren selbst vorher auf Papier und schneidet sie aus. „Sie stehen jeweils sehr isoliert auf oder unter dem Text, haben keine Umgebung, es sei denn, Erlbruch gibt ihnen ein Stück Wiese oder einen Kirschbaum“. (AJuM der GEW, o.J.,o.S.)

Die Ente, die zwar über die Bedeutung des Todes weiß und ihn in seiner „Gestalt“ sofort erkennt, zeigt ihm Freundlichkeit und keine Ablehnung. Trotzdem ist die Angst vor dem Sterben über „die Ungewissheit über das Ende und das Danach“ (Erenz, 2007, S.2) spürbar. „Hier ist der Tod keiner, der kommt und aus dem Leben reißt“ (Erenz, 2007, S.2), jedoch wird er keineswegs verharmlost, für die Ente gibt es kein Zurück.

Ente, Tod und Tulpe zeigt einen Tod, der nachdenklich, traurig und besinnlich wirkt, aber auch herzlich, verschmitzt und ironisch sein kann. Souverän in dem was er tut, strahlt er eine große Ruhe aus.“ (Zenz, 2013, S.77) Mit der unkonventionellen Darstellung des Todes, als ein freundlicher „Begleiter“ in einem Kittel, wird Kindern und Erwachsenen ein neuer Blick auf das Leben und Sterben eröffnet. „Es gibt keine Trennung zwischen Leben und Tod, der uns schon so lange begleitet, dass wir ihn gar nicht (mehr?) wahrnehmen vor lauter Zukunftsblicken.“ (AJuM der GEW, o.J.,o.S.) Der Geschehnisort zeigt immer nur die beiden Figuren, die auf eine seltsame Art miteinander interagieren. „Marionettengleich kreisen sie umeinander, mal einander zugewandt, dann wieder auf Distanz, mal scheint die Ente den Tod, mal der Tod die Ente zu fliehen.“ (Erenz, 2007, S.2)

Die schwarze Tulpe hält der Tod zu Beginn in der Hand und erst am Ende, als die Ente schon tot ist, spielt sie wieder eine Rolle. Sie besitzt Symbolcharakter, eine Blume des Lebens geht mit auf die Reise des Sterbens. (Erenz, 2007, S.2)

Diese Reise auf dem Fluss erinnert an griechische Mythen über den Styx und wirkt als schöne Metapher, die das Ende offen hält.(Cramer, 2010, S.142)

 

Literatur

  • Ballis A. (2011). Von Engeln, Harfen und der Katze des Papstes. Gott in der aktuellen erzählenden Kinderliteratur. In Langenhorst G. (Hg.). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. (S. 70-84). München: Verlag Sankt Michaelsbund.
  • Cramer G. (2010). „Wenn Welt den Anfang nimmt und das Ende kommt“. Mythisches in der Kinder- und Jugendliteratur. In Langenhorst G. (Hg.). (2011). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. (S. 137-144). München: Verlag Sankt Michaelsbund.
  • Erlbruch W. (2007). Ente, Tod und Tulpe. München: Kunstmann.
  • Haas G. (1984). Kinder-und Jugendliteratur. Ein Handbuch. Stuttgart: Phillip Reclam jun.
  • Hub U. (2013).(2.Auflage). An der Arche um Acht.  Mannheim: Sauerländer
  • Langenhorst G. (2011). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. München: Verlag Sankt Michaelsbund
  • Lemieux M. (1996). Gewitternacht. Weinheim: Beltz
  • Motté M. (2003). ‚ethisch-existentiell‘ / ‚transzendental-religiös‘ / ‚christlich‘. Dimensionen moderner Literatur für Kinder und Jugendliche. In Langenhorst G. (Hg.). (2011). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. (S. 146-157). München: Verlag Sankt Michaelsbund.
  • Mattenklott G. (1998). G. Ott ein neuer Protagonist in der Kinder- und Jugendliteratur. In Langenhorst G. (Hg.). (2011). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. (S. 27-38). München: Verlag Sankt Michaelsbund.
  • Nauerth, T. (2010). „Aus Büchern lernen“. Kinder- und Jugendliteratur als religionspädagogisches Aufgabenfeld. In Langenhorst G. (Hg.). (2011). Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. (S. 158-168). München: Verlag Sankt Michaelsbund.
  • Poupard Kardinal Paul. (2001). Vorwort. In Tschuggnall P. (Hg.) Religion-Literatur-Künste. Perspektiven einer Begegnung am Beginn eines neuen Milleniums. (S. 5-7). Anif/Salzburg: Verlag Mueller-Speiser.
  • Richter J. (2000). (2.Auflage). Der Hund mit dem gelben Herzen oder die Geschichte vom Gegenteil. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG
  • Werner A. (Hg.). Es müssen nicht Engel mit Flügeln sein. Religion und Christentum in der Kinder- und Jugendliteratur. München: Kaiser Verlag. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.

Internetquellen:

  • AJuM der GEW. (o.J.). Hinübergehen. Abgerufen am 13.3.2016 von http://www.ajum.de/html/Lesepeter/200712.html
  • artikeljulit_1.pdf. (2006). Die großen Fragen. Abgerufen am 22.3.2016 von http://www.bistum-speyer.de/fileadmin/user_upload/1-0-0/Hauptabteilung_II/Downloads/Kreusch/Materialien/Die_Angst_vor_dem_Fremden/artikeljulit_1.pdf
  • Erenz, B. (2007). Etwas war geschehen. Abgerufen am 27.04.2016 von http://www.zeit.de/2007/12/KJ-Erlbruch/seite-3
  • Hahn, K.. (o.J.). Buchrezension. An der Arche um Acht von Hub Ulrich. Abgerufen am 12.3.2016 von http://www.kinderbuch-couch.de/hub-ulrich-an-der-arche-um-acht.html
  • internationales literaturfestival berlin. (2004) Michele Lemieux [Kanada]. Biografie. Abgerufen am 12.3.2016
  • Langenhorst G. (2014). Kinder brauchen Religion!: Orientierung für Erziehung und Bildung. Freiburg in Breisgau: Verlag Herder GmbH. Abgerufen am 29.2.2016 von https://books.google.at/books?id=Bf7mAgAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=Georg+Langenhorst&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiv5b7B8p3LAhVM2xoKHWVOAT8Q6AEIJzAA#v=onepage&q=Georg%20Langenhorst&f=false
  • Schimmelpfenning R. (o.J.). Laudation von Roland Schimmelpfenning. Zum Müllheimer Kinderstückpreis 2010. Abgerufen am 12.3.2016 von http://www.ulrichhub.de/laudation-von-roland-schimmelpfennig/
  • Schreiner S. (o.J.). Gewitternacht. Hildesheim. Abgerufen am 12.3.2016 von http://www.materialserver.filmwerk.de/arbeitshilfen/gewitternacht_ah.pdf
    http://www.literaturfestival.com/archiv/teilnehmer/autoren/2004/michele-lemieux
  • Zenz E. (2013). „Grüß Gott, ich bin der Tod“. Zur Figuration des Todes im zeitgenössischen Bilderbuch. Abgerufen am 22. 3. 2016 von http://othes.univie.ac.at/26299/1/2013-02-03_9801048.pdf