Hiebler Heinz - TheoArt-komparativ

Die Widerständigkeit des Medialen - Leseprobe

 

Grenzgänge zwischen Aisthetischem und Diskursivem, Analogem und Digitalem

von Heinz Hiebler

 

Parerga: Kultur – Medien – Realität

Ein Vorwort ist Stimmung. Ein Vorwort schreiben heißt gleichsam die Sense wetzen, gleichsam die Guitarre stimmen, gleichsam mit einem Kinde plaudern, gleichsam aus dem Fenster spucken.[1]
Nikolaus Notabene (d. i.: Søren Kierkegaard): Vorworte (1844)

Vorworte sind das Textformat der Stunde. In einer Zeit, in der niemand mehr als Vorworte lesen (und schreiben) kann, ist es nur konsequent darauf hinzuweisen, dass es sich in Anbetracht der großen Themen, die in diesem Band behandelt werden, auch beim Folgenden nur um eine Reihe gleichberechtigter Vorworte handeln kann, die „als párerga eines inexistenten Textes […] ihren eigentlichen Sinn einzig neben einem unlesbaren érgon gewinnen“[2] und es trotzdem oder auch deswegen allesamt verdienen, aufmerksam gelesen zu werden. Das vorangestellte Zitat von Kierkegaard, dem eigentlichen Erfinder des Vorworts als autonomer wissenschaftlicher Textsorte,[3] erscheint in vielerlei Hinsicht als adäquates Motto für die Themen stellungen der nachfolgenden Kapitel, die jedem Leser die Gelegenheit geben, dieses grundsätzlich unabschließbare Projekt fortzuschreiben, zu aktualisieren und durch die eigene Lektüre und Lebenserfahrung zu bereichern. Der Reigen der Parerga beginnt mit allgemeinen Problemdarstellungen zu den Bereichen Kultur/Kulturwissenschaften und Medien/Medienwissenschaften und reicht von grundsätzlichen theoretischen und praktischen Aspekten der Medienanalyse und Medieninterpretation über eine allgemeine Profilierung der Medienkulturgeschichte mit ihren wichtigsten Paradigmen und Umbrüchen bis zu einer medienkulturhistorischen Skizze der wechselvollen Beziehungen zwischen Medien und Realität.

Ziel der folgenden Ausführungen ist es, die theoretischen Erkenntnisse der Medienphilosophie mit den praktischen Anforderungen medienwissenschaftlicher Analyse und Interpretation in einen für beide Seiten fruchtbaren Dialog zu bringen, ohne die dabei auftauchenden Meinungsunterschiede und Dissonanzen zu ignorieren oder gar zu eliminieren. Die Herausforderung besteht dabei darin, zwei heterogene Ansätze medienwissenschaftlicher Betätigung nicht nur unversöhnlich einander gegenüberzustellen, sondern auf ein gemeinsames Projekt, das bessere Verständnis medialer Praktiken, einzuschwören. Die Medienphilosophie auf der einen Seite setzt sich mit den epistemologischen Problematiken der Medien auseinander und reflektiert die erkenntnistheoretischen Aspekte bevorzugt unter der paradoxen Perspektive der Unsichtbarkeit der Medien. Den Künsten wird ein privilegierter Zugang zum Mysterium des Realen und Medialen eingeräumt, die Leistungsfähigkeit der Kunstwissenschaften wird aber generell in Frage gestellt. Zentrales Argument für die Bevorzugung der künstlerischen Praxis gegenüber der Kunsttheorie ist nicht zuletzt die grundsätzliche Unübersetzbarkeit sinnlicher Erfahrungen aufgrund der prinzipiellen Differenz zwischen Aisthetischem und Diskursivem. Auf der anderen Seite stehen die analysierenden und interpre-tierenden Ansätze der Medienwissenschaft, die trotz dieser an sich katastrophalen Ausgangslage versuchen, sich in Auseinandersetzung mit konkreten medialen Erscheinungsformen dem Aisthetischen durch Beschreibungen, Begriffe und Hinweise diskursiv und vorführend zu nähern. Dieser pragmatische Umgang mit dem medienwissenschaftlichen Alltagsgeschäft der Analyse und Interpretation von Medien steht ganz im Zeichen einer pädagogischen Konfrontation interessierter Studierender mit den ästhetischen Gestaltungskonventionen der Medien und der Etablierung eines kritischen Medienbewusstseins.

Grundlage für die im Folgenden versuchte Vermittlung zwischen diesen beiden Extrempositionen sind jahrlange Bemühungen, Studierende in Seminaren und Vorlesungen mit anschaulichen Beispielen an komplexe medientheoretische Problemstellungen heranzuführen. Die Verknüpfung von Praxis und Theorie, Anschauung und Begriff schließt an die aufgeklärte Tradition eines kritischen Rationalismus an, dessen Ahnenreihe von Immanuel Kant über Karl Popper bis Umberto Eco reicht. Die Künste, zu denen auch triviale Medienerzeugnisse wie Fotografien, Filme oder Hörspiele gezählt werden, werden dabei häufig als Einstiegspunkte genutzt, um die eigene Wahrnehmung zu schärfen, aber auch um abstrakte Aspekte und Paradoxien der Medien zu veranschaulichen. Dabei wird ein besonderer Wert auf die Beobachtung gelegt, dass Künste und Medien sich nicht von selbst verstehen und dass selbst jene Medientexte, deren Rezeption keine literalen Fähigkeiten voraussetzen, ihren Bedeutungsreichtum erst durch eine eingehende Analyse und Interpretation, also im Zuge ihrer intensiven diskursiven Erfassung und Auswertung, entfalten. Was unsichtbar oder unhörbar ist und nicht sichtbar oder hörbar gemacht werden kann, widersetzt sich – ganz im Sinne von Kants Wahrnehmungsbegriff – ebenso unserem Verstehen und Begreifen, wie das-jenige, was nur auf einer abstrakten begrifflichen Ebene existiert.

Medien werden dementsprechend nicht als unsichtbar oder unhörbar, wohl aber in vielerlei Hinsicht als widerständig begriffen: Ihre Wahrnehmung und Interpretation setzt geschulte Augen und Ohren voraus, die nicht nur in der Lage sind, Sinneseindrücke zu empfangen, sondern sie auch kognitiv und diskursiv zu verarbeiten. Dabei geht es nicht darum, zu behaupten, dass aisthetische Aspekte der Medien generell diskursiv einholbar wären, wohl aber um ein wechselseitiges Profilieren von sinnlichen und begrifflichen Fähigkeiten, auf deren Basis Wahrnehmung im engeren Sinne erst zustande kommen kann. Die eigentliche Herausforderung besteht nicht darin, ein ominöses bzw. okkultes Unsichtbares oder Unhörbares aufzuspüren, sondern dasjenige Sichtbare oder Hörbare zu entdecken, das Medien nicht selten auf ihrer Oberfläche preisgeben und gleichzeitig dort verbergen.

Medienkulturwissenschaft, wie sie im Folgenden verstanden wird, eröffnet uns durch ihr feines Sensorium für medien- und kulturhistorische, medienästhetische, methodische und epistemologische Differenzen neue Sichtweisen auf Medien und Realität. Auch wenn deren prinzipielle Widerständigkeiten dabei nicht aufgelöst werden können, eröffnet uns eine derart differenzierende und gleichzeitig für neue Entwicklungen offene Herangehensweise, die das Wechselspiel von Medien und Kulturen kritisch und aufmerksam verfolgt, die Möglichkeit, in alten und neuen Kontexten unsere Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizonte permanent zu erweitern.

Rahmen und Übersetzen

Die grundlegende Auseinandersetzung mit den Problemfeldern des Aisthetischen und Diskursiven sowie des Analogen und Digitalen bringt es mit sich, dass wir immer wieder den Aspekten der Rahmung und der Übersetzung begegnen. Schon das Verhältnis von Kultur und Medien wird als wechselseitige Rahmung aufgefasst, wobei im Grunde nicht beurteilt werden kann, welchem der beiden Rahmen als übergeordnetem Meta-Rahmen der Vorzug zu geben wäre. Debatten, wie sie in Hinblick auf die Priorisierung anthropologischer oder technischer Sichtweisen der Medienkulturgeschichte geführt wurden, offenbaren sich vor dem Hintergrund ihrer dilemmatischen Henne-Ei-Struktur letzten Endes als unbeantwortbar.[4] Schon hier, bei den unterschiedlichen kulturellen und medialen Blickwinkeln, hat man es im Grunde mit Übersetzungsproblematiken zu tun, die es der Medienkulturwissenschaft aber im günstigsten Fall ermöglichen, ein und dasselbe Problem von mindestens zwei Seiten aus zu betrachten und alten Fragestellungen neue Facetten und Differenzierungen abzugewinnen. Konkretisiert werden diese Übersetzungsprozesse in den Spannungsfeldern von Sprache und Schrift, aisthetischen und diskursiven, analogen und digitalen Medien, die ihrerseits aus unterschiedlichen kulturellen, medialen und historischen Perspektiven betrachtet werden.

Die zentrale Forschungsfrage, mit der man dabei unablässig konfrontiert wird, betrifft die prinzipielle Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit einer Beschreibung von Kulturen, Medien und Realitäten. Aus dem Blickwinkel der Medienkulturwissenschaft ist es deshalb kein Zufall, dass am Anfang und im Zentrum der nachfolgenden Überlegungen immer wieder die Sprache und die Schrift stehen werden. Als zentrale Schnittstellen zwischen Kultur und Medien haben diese diskursiven Medienpraktiken die Funktion eines Scharniers, durch das sich kulturelle und mediale Problematiken der Übersetzung und Beschreibung miteinander verbinden lassen. Einen möglichen Anknüpfungspunkt bieten dabei Walter Benjamins Überlegungen zum Übersetzen, die Sybille Krämer in ihrer Kleinen Metaphysik der Medialität zusammenfasst:

Sicherlich können Übersetzer ihr Tun so begreifen, als werde dabei ein Text von einer Sprache in eine andere übertragen. In dieser Perspektive legt Übersetzbarkeit – insofern der Textsinn dabei ‚derselbe‘ zu bleiben scheint – Zeugnis ab von der Möglichkeit, Sprachdifferenzen durch das Übersetzen neutralisieren zu können: Wir können – intra- wie interlin-gual – dasselbe auf verschiedene Weise sagen. Eine solche Einstellung aber macht für Benjamin gerade den ‚schlechten Übersetzer‘ aus. Denn der ‚gute Übersetzer‘ zehrt nicht von der Bedeutungsgleichheit von Aussagen, sondern lässt den ihnen inhärenten Abweichungen in den ‚Arten des Meinens‘ einen Entfaltungsraum und lässt so die Unterschiede zwischen Sprachen überhaupt erst zutage treten. Dann aber machen Übersetzungen gerade die Verschiedenartigkeit und die Inkommensurabilität von Sprachen offenbar und überspielen diese nicht.[5]

Übersetzen ist so gesehen ein Bewusstwerdungsprozess, bei dem ein wie auch immer geartetes Fremdes, Fernes, Unverständliches in ein Eigenes, Nahes, Verständliches transformiert werden soll, ohne dass die prinzipielle Tatsache des Fremden, Fernen, Unverständlichen als Erfahrung einer unumgänglichen Differenz überspielt würde. Die erkenntnistheoretische Grundfigur des Übersetzens ist die Paradoxie, mit deren Hilfe ein Unmögliches bzw. Unverständliches zwar nicht uneingeschränkt möglich bzw. verständlich, aber doch tendenziell möglicher bzw. verständlicher gemacht werden soll. Der erkenntnistheoretische Mehrwert, der sich bei dieser denkbar schlechten Aus-gangslage in Hinblick auf die (Un)Möglichkeiten der Übersetzung dennoch ziehen lässt, erschließt sich am ehesten für den, der in der Lage ist, zwei oder mehrere Sprachen zu sprechen, deren jeweilige kulturelle wie mediale Eigenheiten zu verstehen und deren Parallelen und Differenzen gleichermaßen zu benennen. Wie schwer es etwa im Umgang mit fremden Kulturen ist, deren Sprache und Lebensstil man selbst erst erlernen und in die eigene Sprache übersetzen muss, einen Grad des Verstehens und der Integration zu erreichen, der beiden Seiten gerecht wird, machen die kulturwissenschaftlichen Forschungsbereiche der Ethnologie bzw. Ethnografie deutlich. Mit einer ganz ähnlichen Problematik, aber auch mit vergleichbaren Chancen haben wir es auf dem zentralen medienwissenschaftlichen Betätigungsfeld einer qualitativen Medienanalyse und Medieninterpretation zu tun. Der programmatische, ebenso medienästhetische wie medienphilosophische Ausgangspunkt hier ist, dass jedes Medium seine eigene, im Grunde unübersetzbare Sprache spricht. Je mehr dieser Sprachen man spricht, desto eher lassen sich die Machenschaften der Medien, ihre Darstellungsstrategien und Gestaltungsprinzipien sowie ihre jeweiligen Wechselwirkungen, sichtbar machen und erkennen. Dabei sind wir in unserem Alltag – mehr oder weniger bewusst – ständig mit medialen Übersetzungsprozessen konfrontiert, denen sich niemand entziehen kann. Schon als Kind beginnen wir damit, unsere konkreten sinnlichen Erfahrungen mit und in der Welt mit Hilfe der Sprache zu diskursivieren. Wenig später lernen wir – in einem für die westliche Kultur prägenden Akt – das Gesprochene in die stumme Zeichenschrift des phonetischen Alphabets zu übersetzen. Als gälte es, Walter Benjamins Theorie von den „mimetischen Ursprüngen“ der Sprache in die Praxis zu überführen, bedienen sich moderne Lesebücher für Kinder seit dem 18. Jahrhundert der Kombination von Bildern und Buchstaben, aisthetischen und diskursiven Elementen als Einstiegshilfe in die Welt des Lesens und Schreibens. Die Entwicklung moderner analoger Medientechnologien wie Fotografie, Film, Radio oder Fernsehen hat die medialen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Übersetzung weiter potenziert. Ihren vorläufigen Endpunkt finden diese in den unablässig ablaufenden und unumgänglichen Übersetzungsprozessen digitaler Medien, die, damit sie von uns effektiv genutzt werden können, ständig zwischen den binär-digitalen Sprachen ihrer eigenen technischen Verfasstheit und den von Menschen wahrnehmbaren und lesbaren Oberflächenphänomenen von Sprache, Schrift, Bild und Sound hin und her übersetzen.

Obwohl der Computer (als pars pro toto einer digitalen Gerätevielfalt) in technischer Hinsicht ein Meister der Übersetzung und der Wandlung ist, wird nach menschlichen Maßstäben in den klassischen Forschungsbereichen der Medienwissenschaften wie der Medienanalyse oder der Intermedialität gleichermaßen davon ausgegangen, dass sich die Charakteristika und Eigenheiten unterschiedlicher Medienerzeugnisse nie restlos in ein anderes Medium übersetzen lassen. Dementsprechend sind auch der schriftsprachlichen Annäherung an außersprachliche, aisthetische bzw. analoge Medien generell Grenzen gesetzt. Im Kontext der Intermedialitätsforschung werden derartige Übersetzungsproblematiken vor allem dort deutlich, wo es um intermediale Systemreferenzen etwa im Verhältnis von Text und Verfilmung geht.

Besonders filmisch anmutende Formen von Literatur lassen sich besonders schwer verfilmen, da die für den literarischen Text konstituierende ästhetische Differenz einer filmischen Darstellungsweise durch die Verfilmung unter-scheidungslos und unsichtbar wird. Thematisierungen der eigenen oder einer anderen Medialität, wie sie in Literatur und Film etwa als Roman-im-Roman- oder Film-im-Film-Struktur auftauchen können, erfordern bei der Erwägung einer möglichst medienadäquaten Übersetzung von einem Medium in ein anderes spezifische Überlegungen.[6] Noch grundlegender wird die Problematik der Übersetzung bei der Medienanalyse. Hier vermengt sich die Frage nach der Übersetzbarkeit der Medien mit der medienphilosophischen Überlegung, inwiefern Medien als solche überhaupt sichtbar bzw. wahrnehmbar sind.

Wir hören nicht Luftschwingungen, sondern den Wasserkessel pfeifen; wir sehen keine Lichtwellen des Farbspektrums Gelb, sondern einen Kanarienvogel; nicht eine CD, sondern Musik kommt zu Gehör; und die Kinoleinwand ‚verschwindet‘, sobald der Film uns gepackt hat. Je reibungsloser Medien arbeiten und zu Diensten sind, umso mehr verharren sie unterhalb der Schwelle unserer Wahrnehmung.[7]

Sybille Krämer, die wie viele MedienphilosophInnen die bis auf Aristoteles zurückzuverfolgende Rede von der prinzipiellen Unsichtbarkeit der Medien aufgreift und reproduziert, bringt in Hinblick auf das Wahrnehmbarmachen bzw. die „Aisthetisierung“ der Medien so archaische Konzepte wie die Spur und das Spurenlesen oder den Boten ins Spiel.[8] Aber auch wenn mit derartigen Beobachtungen und Setzungen tiefschürfende Weisheiten eingehender Medienanalysen verknüpft sind, wie sie seit jeher in den magischen Kontexten von Sagen und Zeigen verborgen liegen, vor dem Hintergrund der konkreten Herausforderungen einer kaum noch zu bewältigenden Medienflut erhält die Rede von der Unsichtbarkeit der Medien den bitteren Beigeschmack einer Kapitulationserklärung. Für die praxisbezogenen Anforderungen der Medienanalyse als unverzichtbarer Grundlage einer medienkulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Film, Fernsehen, Radio, Audio oder Computer und Internet stellt das Unsichtbare und Unhörbare der Medien deshalb eine der größten Herausforderungen dar.

Neben dieser prinzipiellen, sowohl physikalischen (Aristoteles, Heider) als auch theoretischen (Luhmann, Krämer, Mersch) Unsichtbarkeit der Medien, gibt es jedoch auch eine andere, sozusagen selbstverschuldete Form des Unsichtbarwerdens von Medien. In den Kontexten einer populären Mediennutzung, die sich an den Parametern der größtmöglichen Unmittelbarkeit und Unterhaltsamkeit orientiert, verbergen sich hinter diesem Unsichtbarwerden der Medien ganz konkrete und häufig auch einfach durchschaubare ästhetische Strategien der manipulativen Instrumentalisierung und Unsichtbarmachung von Medien. Die Unsichtbarkeit populärer Medien, wie man ihr in konventionellen Hollywoodfilmen oder in den simulierten Welten intuitiv zu navigierender Digitalmedien begegnet, resultiert dementsprechend weniger aus einer prinzipiellen physikalischen oder theoretischen Grundeigenschaft der Medien, die als Apparate alles andere als unsichtbar sind. Das tendenzielle Verschwinden der Medien ist eher Resultat einer anthropologischen Wunschkonstellation von Medienmachern wie Mediennutzern, die sich mit Hilfe der Medien über die Grenzen von Raum und Zeit hinwegsetzen oder in die immersiven Traumwelten von Kinofilmen und Computerwelten flüchten wollen.[9] Das größte Wunschpotential entfalten gegenwärtig mobile, interaktive und multimediale Dispositive wie das Handy oder das iPad, die das in den Medien materialisierte Grundbedürfnis nach jederzeitiger und ubiquitäter Erreichbarkeit im Sinne einer gerätgewordenen gottgleichen Allmachtsfantasie manchmal schon so gut befriedigen, dass sie wieder lästig werden. Die überzeitliche Keimzelle aller medialen Wunschvorstellungen ist die Face-to-face-Kommunikation im Sinne einer ganzheitlichen, vollsinnlichen Unmittelbarkeit, wie sie in den nach wie vor wirksamen Utopien der Oralität seit Jahrtausenden ausformuliert wurde. Im Kontext moderner Medientechnologien ist die Unsichtbarkeit der Medien allerdings keine physikalische Notwendigkeit, sondern ein zweckgerichteter aisthetischer Form- und Gestaltungswille, der sich sowohl in die Produkte (die illusionistische Filmästhetik des einzelnen Films, die benutzerfreundliche Oberfläche des Computers) als auch in die verwendeten Geräte und Apparaturen (besonders lichtstarke Kameras, farbechtes Filmmaterial, große Leinwände, leistungsfähige Prozessoren) einschreibt, um die Realität so realistisch und unmittelbar wie möglich einzufangen bzw. zu vermitteln. Anders als bei Aristoteles oder Fritz Heider, die beide auf die physikalischen Grundlagen der Fernwahrnehmung von Gegenständen reflektieren und dabei auf das Medium Luft als notwendig diaphaner (durchsichtiger) Größe rekurrieren, sind Medientechnologien wie Fotografie, Phonograph, Grammophon, Film, Radio, Fernsehen oder selbst Computer und Internet von sich aus alles andere als unsichtbar. Um ihren Anspruch auf Unsichtbarkeit zu erfüllen und das menschliche Grundbedürfnis nach medialer Unmittelbarkeit zu befriedigen, sind sowohl auf der Seite der technischen Entwicklung und der Produktion der Inhalte als auch auf der Seite der Rezeption eine Unzahl von Vorkehrun-gen zu treffen, mit deren Hilfe die apparativen Rahmungen der vermittelten Inhalte unsichtbar gemacht werden. Dass diese Vorkehrungen in der Regel zumindest auf lange Sicht von Erfolg gekrönt sind, wird in der Rede von der angeblichen Unsichtbarkeit auch dieser Medien deutlich. Sobald Medien ihre sogenannten Kinderkrankheiten überwunden haben und sie in der Lage sind, ihre Funktionen weitestgehend störungsfrei zu entfalten, geraten die zu ihrem Gebrauch gesetzten Rahmenbedingungen zunehmend in Vergessenheit. Im Vergleich zu den klobigen Apparaten und restriktiven Benutzervorschriften, die das Telefon um 1900 noch als ziemlich sichtbares, kostspieliges und merkwürdiges Medium auszeichneten,[10] sind heutige Handys zu einem gern in Vergessenheit geratenden Teil des menschlichen Körpers geworden. Aber selbst Medien, die den Rahmen ihrer eigenen Materialität nicht gänzlich zum Verschwinden bringen, wie dies bei konventionellen Fernseh- und Computermonitoren nach wie vor der Fall ist, werden im alltäglichen Gebrauch nicht mehr bewusst als Apparate wahrgenommen. Mit der Verschiebung der Aufmerksamkeit vom prinzipiell Apparativen und Fremden auf die scheinbar vertrautere Ebene der Inhalte beginnen derartige Dispositive sich scheinbar in Luft aufzulösen. Dass Medien die Realität, die sie im Bewusstsein vieler Mediennutzer genau so aufzeichnen oder übertragen, wie sie wirklich ist, entscheidend prägen und eigentlich erst gestaltend hervorbringen, gerät durch ihre ritualisierten Nutzungsformen und die eingeübten Rhetoriken konventionalisierter Darstellungsweisen vor allem aufseiten der Nutzer häufig in Vergessenheit. Selbst so relativ problemlose Handreichungen wie der Audiomitschnitt einer Vorlesung oder Diskussionsrunde funktionieren nur, wenn sich die beteiligten Personen an die Vorgaben halten und Reichweite sowie Richtcharakteristika der aufgestellten Mikrophone nicht ganz in Vergessenheit geraten. Weder das Drehen noch das Betrachten von Filmen sind natürliche Tätigkeiten, die ohne kulturelle Einübung in die allgegenwärtigen Praktiken der Rahmung und der Illusionsbildung funktionieren würden. Ein Blick hinter die Kulissen des Medienbetriebs und in die Hexenküchen der Medienproduktion lässt rasch deutlich werden, dass eine realistische Erfassung der Welt nicht etwas ist, was Medien in Eigenregie und ohne Vorkehrungen selbsttätig bewerkstelligen könnten. Der Umstand, dass das Artifizielle der Medien auf der praktischen Seite der Medienmacher weitaus stärker ins Bewusstsein rückt, wenn man akzeptable Ergebnisse bei der phonographischen und filmischen Erspähung der Welt erzielen will, dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass die Medienanalyse seit ihren Anfängen in Hinblick auf ihr Vokabular und ihre Analysewerkzeuge Anleihen bei der Produktion von Medien nimmt. Die Unsichtbarkeit der Medien ist so gesehen – zumindest zum Teil – nicht nur eine medienkulturwissenschaftliche Unumgänglichkeit, sie ist auch eine gemachte und selbstverschuldete.

Grundintention der Medienwissenschaften, wie sie im Folgenden verstanden werden, ist es, das Unsichtbare und Unhörbare soweit wie möglich wieder sichtbar und hörbar zu machen und die notwendigerweise manipulativen Mechanismen des Gemachtseins medialer Inhalte ins Bewusstsein zu rücken. Die Medienwissenschaft darf deshalb auch nicht beim Befund eines vermeintlichen Klartextes stehen bleiben, wie er von antihermeneutischen Ansätzen als unverschlüsselte und deshalb selbstverständliche Botschaft vor allem analoger Medien kolportiert wird. In Hinblick auf die Analyse von Auditivem, Visuellem oder Audiovisuellem würde dies den unter Studienanfängern weit verbreiteten Aberglauben der Offensichtlichkeit audiovisueller Darstellungsweisen sanktionieren, mit dem man bei der Präsentation von Hör- oder Filmbeispielen in Einführungsseminaren häufig konfrontiert wird. Hier ist auch den immer wieder artikulierten Ängsten der Studierenden zu begegnen, dass sie durch die Film- oder Hörspielanalyse den unschuldigen, naiven Spaß am Filmegucken oder Hörspielhören verlieren könnten. Die Mehrwerte medienästhetischer Aspekte, die aufgrund ihrer basalen Funktionen für die Verarbeitung von Informationen eine zentrale Rolle bei der medienkulturhistorischen Profilierung jeglicher Form von Wissensinhalten spielen, werden vor allem in den Spannungsfeldern von aisthetischen und diskursiven sowie analogen und digitalen Medien gesehen. Mit Hilfe dieser Dualismen lässt sich ein mehrdimensionales Beziehungsfeld wechselseitiger Rahmungen und Übersetzungen aufmachen, das ein und dieselbe epistemologische Problematik unter verschiedenen Blickwinkeln aufscheinen lässt. Es geht dabei um nichts weniger als um die medienästhetischen Rahmenbedingungen unseres Wahrnehmens, Denkens und Handelns überhaupt. Deshalb spielen allgemeine erkenntnistheoretische Überlegungen zum Zusammenhang von sinnlichem Erfahren und sinnstiftendem Tun und Gestalten in diesem Projekt eine zentrale Rolle. Im permanenten Wechselspiel zwischen der individuell eingeschränkten Rezeption und Verarbeitung von Wissen wird so ein Kreislauf kreativen Verstehens und Missverstehens, der Konstruktion und Dekonstruktion von Wissen in Gang gebracht, der in den diskursiven Praktiken der multimodalen und interaktiven Computernutzung seinen gegenwärtigen Höhepunkt erlebt.

Worte und Dinge

Im allgemeinen Sprachgebrauch, aber auch im Sprachgebrauch vieler traditioneller Geisteswissenschaftler einerseits und pragmatisch denkender Medien macher andererseits haben die Begriffe Medien und Kultur relativ wenig miteinander zu tun. Auf der idealistischen Seite der traditionellen Literatur- und Kunstwissenschaften werden Literatur und Künste nach wie vor gerne

 

[1] Kierkegaard 1991: 175.

[2] Agamben 2004: 7. [Hervorhebungen im Original.]

[3] Vgl. Beyrich 2001: 21–30.

[4] Vgl. Winkler 2000.

[5] Krämer 2008: 264f.

[6] Vgl. Rajewski 2002: 178–180.

[7] Krämer 2008: 27.

[8] Vgl. ebd.: 270f. Zur Spur vgl. auch Krämer/Kogge/Grube 2007.

[9] Zur tendenziellen Unabschließbarkeit dieses Wunschprozesses, der „auch bei den Computern vermutlich nicht stehenbleiben wird“ vgl. Winkler 1997: 331.

[10] Vgl. Hiebler 2003: 371–377.

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