Niewiadomski Jozef - TheoArt-komparativ

Abrahams Dilemma

(Predigt zum zweiten Fastensonntag)

von Niewiadomski Jozef

 

Der Bursch erstarrte, das Blut fror ihm buchstäblich in den Adern. Er blickte in das Gesicht des Vaters. Dieser hat ihn gerade zu Boden gestoßen. Sein Blick war wild, seine Gestalt war Schrecken. “Du dummer Knabe”, zischte es aus dem Mund des Vaters. “Du dummer Knabe, glaubst Du wirklich, ich sei Dein Vater? Ich hänge Abgöttern an! Glaubst Du, es sei Gottes Befehl? Nein! Es ist meine Lust.” Isaak zitterte am ganzen Leib. In seiner Angst schoss ihm ein Stoßgebet in seinen Kopf: “Gott im Himmel, erbarme Dich über mich. Abrahams Gott, erbarme Dich, habe ich keinen Vater auf Erden, dann sei Du mein Vater!” Im selben Augenblick betete auch der Alte in seinem Inneren: “Herr im Himmel, ich danke Dir, es ist doch wirklich besser, dass der Junge glaubt, ich sei ein Unmensch, als dass er den Glauben an Dich verlieren sollte!”

Liebe Schwestern und Brüder! Ein ganzes Buch hat er geschrieben, der dänische Philosoph und auch leidenschaftliche Prediger: Sören Kierkegaard. “Furcht und Zittern” lautet der Titel eines seiner Hauptwerke, in dem er über diese Geschichte von Abraham und Isaak nachdenkt, tiefgründige Interpretationen wagt, über das Dilemma des alten Mannes, jenes Menschen, der in die Geschichte eingegangen ist als Vater des Glaubens. Der tiefgläubige Abraham steckt ja in dem denkbar furchtbarsten Dilemma, in dem ein Mensch gefangen werden kann. Als junger Bursche setzte er doch alles auf eine Karte, auf seinen Gott, der ihn jahrzehntelang herausgefordert hat, ihm Hoffnungsbilder geschenkt und klares Versprechen gegeben. Auf sein Wort hin verließ Abraham seine Heimat. Ohne die geringsten Garantien wagte er den Aufbruch, weil er diesem seinem Gott vertraute. Doch das versprochene Kind ließ auf sich warten: Jahrelang, ja jahrzehntelang. Ergraut ist der Vater und auch die Mutter verwelkt nach siebzig Jahren Wartezeit. Und als dann doch der Sohn kommt, scheint endlich der Glaube seine Erfüllung gefunden zu haben. Und dann, plötzlich diese seltsame Stimme, die von ihm die Opferung seines Sohnes verlangt. Nicht irgendeines Sohnes, nein! Des Sohnes der Verheißung. Treibt der Gott seinen Spott mit Abraham? Hat er denn kein Mitleid mit dem ehrwürdigen Greis und auch keines mit dem Kind.

“Glaubensprobe”, nennt die Bibel die ganze Geschichte. Sie wird mit denkbarst schlichten Worten erzählt; die Personen agieren fast schon wie Puppen, gehorchen wortlos, kommentarlos, ohne Aufbegehren. Stummer, fast sprachloser Vollzug eines ungeheuerlichen Ritus, der nicht nur Religionskritiker der Gegenwart auf die Barrikaden treibt im Kampf gegen den religiösen Glauben, oder in der Bemühung um ein kritisch gereinigtes Gottesbild. Die Texte forderten alle Generationen heraus. Unzähligen Betern blieb der Lobpreis im Halse stecken angesichts des Dilemmas des Vaters und auch der Tragödie des Sohnes. Unzähligen Leidenden spendete die Geschichte aber auch Trost und Vertrauen, wenn ihr Glaube allzu brüchig wurde. Kierkegaard seziert in seinem Buch die Geschichte und er tut dies im Dienste des Glaubens. Deswegen sucht er nach Erklärungen, nach Auswegen, spielt alle möglichen biographischen Varianten dessen durch, was sich dort auf dem Berge Morija ereignet haben und wie sich die Geschichte abgespielt haben mag. Die berührendste Variante seiner Meditationen erzählt ich zu Beginn dieser Predigt über das Dilemma Abrahams. Um den Glauben Isaaks mehr besorgt als um eigene Reputation, sich die Frage stellend, wie denn sein Sohn den Gott erfahren wird, dem er selber sein Leben lang vertraute, wie der Sohn angesichts der ungeheuren Tat seines gläubigen Vaters Gott wahrnimmt, verstellt sich der Vater, macht sich selber in den Augen des Sohnes zum Ungeheuer, erscheint in den Augen Isaaks als wahnsinniger Mörder, entlockt ihm auch deshalb ein Gebet als Hilferuf an Gott: “Habe ich keinen Vater auf Erden, dann sei Du mein Vater, Du Gott Abrahams.”

Es ist nicht die einzige Variante der Ereignisses, die der Philosoph meditierend erzählt. Er denkt auch über das Ende nach und erzählt eine Geschichte, die anders endet als Hollywood-Stories zu enden pflegen. Abraham und Isaak kehren heim, Sara eilt ihnen entgegen. Isaak aber habe den Glauben verloren. Er sprach zwar niemals darüber, doch glauben konnte er nicht mehr. Und trotzdem blieb der Gott Abrahams auch der Gott Isaaks, der Gott jenes Patriarchen also, der den Glauben verlor. Der Vater des Glaubens, Abraham selber, habe nie gezweifelt, gibt der dänische Philosoph zu bedenken. Hätte er gezweifelt, so wäre er ein moderner Mensch. Modern? Nein! Er wäre auf den Berg hinaufgestiegen, hätte das Brennholz gespalten, den Scheiterhaufen angezündet, das Messer gezückt und zu Gott gerufen: “Verschmähe nicht dieses Opfer. Es ist nicht das Beste, das ich besitze, denn was ist schon ein alter Mensch gegenüber dem Kind der Verheißung. Lass Isaak niemals erfahren, damit er sich mit seiner Jugend trösten kann.” Und dann ..., dann hätte Abraham das Messer gezückt und in die eigene Brust gestoßen. Wäre auch wegen dieser Stellvertretung bewundert worden. Aber bewundert werden ist eines, reflektiert der Philosoph. Zum Leitstern werden, zum Leitstern, der den Geängstigten erlöst, ist ein anderes. Er hat geglaubt, so Kierkegaard, ist deswegen auch zum Leitstern der Ängstlichen geworden. Nur ..., von dem Tag an ist er alt geworden. Er konnte nicht vergessen, dass Gott so etwas von ihm gefordert hat. Seine Augen verdunkelten sich. Modern gesprochen würden wir sagen, er ist depressiv geworden. Der Philosoph und Prediger schließt auch die Möglichkeit nicht aus, dass der alte Mann in seinem Alter immer und immer wieder zum Berg Morija ritt, dort stundenlang betete, Gott möge ihm die Sünde vergeben, dass er Isaak habe opfern wollen. Dass er seine Vaterpflicht vergessen habe.

Liebe Schwestern und Brüder! Das Dilemma Abrahams lässt sich nicht wie eine Hollywood-Story lösen. Darin gleicht dieses Dilemma den zahlreichen Situationen unseres Alltags, wo es keine eindeutigen und beglückenden Lösungen gibt. Es ist halt eine Geschichte, in der sich Abgründe auftun. Und diese lassen sich nicht einfach schließen. Wir sollen in diese Abgründe schauen, wenn wir verstehen wollen, was Glaube heißt. Glauben ist nicht etwas Harmloses und Heiteres. Glauben bringt kein weichgespültes Leben hervor. Lust und Freude an Gott und seiner Sache haben ihren legitimen Platz im Glauben, doch auch tiefe Irritation, Zweifel und auch Verzweiflung. Oft wird man im Glauben an jenen Abgrund geführt, in dem man loslassen muss, alles loslassen, gar das liebgewonnene Gottesbild, um im paradoxen Vertrauen empfangen zu können: Gott selber und sein göttliches Leben. Selbst Christus blieb eine solche Erfahrung nicht erspart. Dem neuen Leben des Auferweckten, dessen Traumvision uns das heutige Evangelium in der Verklärung am Berge Tabor vorstellte, ging die Passion des menschgewordenen Gottessohnes voraus. Der vor elf Jahren verstorbene Innsbrucker Dogmatiker Raymund Schwager suchte wie kein anderer Theologe seiner Zeit den Abgrund, in den Jesus fiel, zu beschreiben. “Das ganze Grauen der Gottlosigkeit strömte (in die Seele des Sterbenden) ein. Er sank in die Tiefe, in eine grundlose Tiefe. Aus seinem Innersten brach ein Ruf und Schrei hervor: Eloi, Eloi, lema sabachtani? Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Dann ließ er sich in die Hände dessen fallen, von dem er sich ganz verlassen erfuhr”, schreibt Schwager in seinen Meditationen über die Passion Christi in seinem Werk “Dem Netz des Jägers entronnen”.

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